Flo Maak
Collected Stories
6. Februar bis 27. März 2021
Invasionen
Flo Maaks Collected Stories
Das „Anthropozän“ – das neue Erdzeitalter, in dem der Mensch zur maßgeblichen geologischen Kraft geworden sein soll und sich seine Spuren nicht nur anhand gigantischer Müllstrudel in den Weltmeeren, sondern auch in Gesteinsproben nachweisen lassen – ist längst keine allein akademische, geschweige denn analytische Kategorie mehr. Es handelt sich um einen politischen Marker, der mit einem Alarmismus verbunden ist. Es ist so weit, scheint diese Gegenwartsdiagnose zu sagen: Die Natur schlägt zurück, „der Mensch“ hat durch Produktions- und Extraktionsexzesse einen Prozess angestoßen, der irreversibel zu werden droht oder es bereits ist. Dass die hemmungslose Ausbeutung von Böden, Landnahme, Rodungen, sowohl historisch als auch gegenwärtig eher mit der spezifisch kapitalistischen Wirtschaftsweise und (neo)kolonialen Praktiken verknüpft ist und nicht mit dem Menschen „an sich“, wird in dieser Erzählung gerne vergessen. Und anstatt sich ernsthaft mit den verheerenden Folgen der globalen Erderwärmung, dem Abschmelzen der Permafrostböden und dem massiv beschleunigten Artensterben auseinanderzusetzen, kann im Modus dieser homogenisierenden und aufgeregten Erzählung erneut mit rassistischen Diskussionen über „Bevölkerungswachstum“, protofaschistischen Phantasien des Heimatschutzes oder dem Erlösungsversprechen einer technologischen Innovation aufgewartet werden.
Einen ganz anderen Zugang zum Anthropozän bringen Flo Maaks Collected Stories zum Ausdruck: Einen ambivalenzbewussten Alarmismus, der sensibilisierend statt schockierend wirkt, der Fragen aufwirft, statt Antworten zu geben. Die Werke lassen die Einsicht erfahrbar werden, dass Natur und Kultur nicht feinsäuberlich voneinander abzutrennen sind. Natur wird nicht romantisiert, sondern im Gegenteil an Orten aufgesucht, an denen ihre Heterogenität und Unreinheit subtil hervortritt. Ein ultimatives Heilsversprechen oder eine vereinheitlichende Krisendiagnose kennt dieser Zugang nicht – das macht seinen politischen wie ästhetischen Reiz aus.
Die Werkgruppe „Red Green“ erzählt die Geschichte einer Pflanze, einer reisenden Pflanze – von Chromolanea odorata. Die Konstellierung unterschiedlicher Aufnahmen der unscheinbaren Pflanze mit ihrn mannigfaltigen Namen macht deutlich, dass Natur- und Kulturgeschichte zutiefst miteinander verwoben sind. Etwa hatte sich das rote Grün bzw. „Communist Pacha“ – so der Name der Pflanze in Kerala (Indien) – seit den 1940er Jahren in der Region ausgebreitet. Deren Namensgebung war wohl deutlich mit der damals an Aufwind gewinnenden kommunistischen Bewegung verknüpft. Solche Natur- und Kulturgeschichten sind Geschichten von Invasionen, von gewaltvollen Kolonialisierungen und Aneignungen, sie können aber auch Geschichten der Aufnahme und der Umarmung sein – invadere bedeutet eindringen und verweist damit auf einen doppelten Charakter von Invasionen, als etwas Lustvolles und Bedrohliches, Aneignendes und Aufnehmendes. Das kommunistische Kraut konnte von manchen als Befall, als feindliche Invasion begriffen werden, von anderen als willkommenes Symbol des politischen Aufbruchs. Die besondere Ambivalenz des Invasiven wird deutlich, wenn wir uns dessen Gegenbegriff des Nativen vor Augen führen. Auch hierbei handelt es sich um ein changierendes Konzept, das sowohl aufgerufen wird, um etwas wie „das Einheimische“ zu verteidigen, das aber in anderen Konstellationen dieses Heimische als kultur- und geschichtslos versteht – die koloniale Invasion wird dann gerade durch eine Abwertung des Nativen gerechtfertigt. Die gewebte Flagge „Most Wanted“ ruft dieses höchstambivalente Wechselspiel des Invasiven und des Nativen auf. Rot und Grün fließen ineinander: Bedrohung und Heilung, Leben und Destruktion sind wörtlich und in einem sehr materiellen Sinne miteinander verknüpft. Die Flagge erinnert damit an die spezifische „Unreinheit“ und Negativität, die Leben (mit) ausmacht und stellt sich einem naiven Vitalismus entgegen.
Leben und Natur, das machen die Arbeiten Flo Maaks sichtbar, können wir uns nicht als Garten Eden vorstellen, der zerstört wurde und zu dem nun zurückzukehren wäre. Die Grenzen von Organismen sind prekär und durchlässig. Körper stehen in Abhängigkeitsverhältnissen mit und sind durchdrungen von heterogenen Anderen, wie Organismen, Artefakten oder Bakterien. Sie sind uneinheitliche „Multitudes“: Versammlungen, Bewegungen, Konstellationen, die zunächst schiere Ko-Existenz jenseits politischer Rahmenbedingungen, Staatlichkeit oder sozialer Kontrakte beschreiben. In der politischen Philosophie gilt die Multitude als Gegenteil des Volkes. Sie steht jenseits der Souveränität und wurde deswegen auch als etwas Bedrohliches aufgefasst, als unkontrollierbare, affekthafte Gefüge, die staatliche Ordnung unterminieren. Multitude II fixiert eine speziesübergreifende, natürlichkulturelle Versammlung: Die Begegnung mit der Gesichtshälfte eines Pferdes, das besiedelt ist von Fliegen, davor ein rostiges Gitter, dessen Schatten, das Sonnenlicht. Das Pferd scheint von den Fliegen befallen, aber der machtvolle Wimpernschlag, der die Verhältnisse neu ordnet, liegt in der Luft. Es deutet sich die Möglichkeit der dauernden Rekonfiguration natürlichkultureller Gefüge an, die zugleich deren Nicht-Verfügbarkeit betont. Offenheit und Begrenzung gehen miteinander einher. Dass dieses „Web of Life“ nicht in einem harmonischen Zusammenhang aufgeht, drückt sich nicht allein in der parasitär-symbiotischen Beziehung zwischen den Organismen aus, sondern auch im rostigen Zaun. Darin liegt aber auch in Bezug auf die Perspektive eine besondere Stärke der Darstellung: Die Begegnung mit dem Pferd scheint weniger eine verkitschte Begegnung „auf Augenhöhe“, denn eine Erinnerung an die Involvierung mit den zahlreichen Multituden, die (ein) Leben ausmachen.
Flo Maaks Perspektive in allen hier versammelten Arbeiten lässt sich daher ihrerseits als invasiv beschreiben: Sie nimmt sich nicht heraus, sondern sie involviert sich: Es handelt sich um die Perspektive einer „creature of the mud, not the sky“ (Haraway). Diese kompliziert die dargestellten Verhältnisse statt sie zu vereindeutigen: Wer ist „Companion Species“? Wer „Alien Species“ oder „Invasive Species“? Die Spannung zwischen dem Sich-Einfügen und dem Fremd-Sein wird nicht aufgelöst, eher erinnern die Arbeiten daran, dass sich diese Unterscheidung nicht ohne Weiteres treffen lässt, weil sich natürlichkulturelle Zusammenhänge durch wechselseitiges Eindringen und Durchdringen, durch Unreinheit und potenzielle Destruktivität auszeichnen und konstituieren. Dies wird auch deutlich, wenn die Betrachterin auf dem Bild Sad einem verschwommenen Gorilla ins Gesicht schaut, dessen Verschwinden damit genau so aufgerufen ist wie seine Nähe. Zum Ausdruck kommt damit eine ästhetische Strategie, die keinem Reinheitsgebot folgt und die Rückkehr zu einem Ursprung proklamiert, sondern immer noch möglichen Wegen des speziesübergreifenden Zusammenlebens nachspürt.
Auch die Werkgruppe „Ground Truthing – Mount Etna“ greift diese Strategie auf. Vulkane – als Phänomene der Bewegung, der Tektonik, der Faltung – sind gerade deswegen faszinierend, weil sie etwas Archaisches zum Ausdruck bringen, zugleich aber ein touristisches Spektakel sind, welches Müll genauso zum elementaren Bestandteil des Gefüges werden lässt, wie Seilbahnen, die ein Skierlebnis versprechen, das mittlerweile kaum mehr stattfinden kann, weil der Schneefall ausbleibt. Die Prekarität der Unterscheidung zwischen Zivilisation und Wildnis bringt etwa das Bild Contact zum Ausdruck. Ein Gefüge aus Beton, Vulkanit und Straßenmarkierungen. Es wird deutlich wie Natur und Kultur hier ko-evoluieren: Sedimentierungen aus immer neuem Beton, Schichten um Schichten Lavagestein, Neu-Aufbau in der Überformung. Das rot ausgeleuchtete Lavagestein, auf dem Blutorangen liegen, erinnert indes an die Lebenskraft des Vulkans: Das Bild Juice vermittelt eine Idee von Fruchtbarkeit und dokumentiert die mineralreichen Vulkanböden – an den Hängen des Etnas wachsen Blutorangen. Zugleich ist die Betrachterin mit den Öffnungen und Faltungen des Vulkans konfrontiert, die auch die Krater und Faltungen menschlicher Körper ins Gedächtnis rufen, die Komplexität einer Vulva, die Krater menschlicher Anusse. Aber der Mensch wirkt gewissermaßen archaischer als der Vulkan selbst. Die Perspektive einer Kreatur aus dem Matsch dezentriert den Menschen: Dude ist ein – zwar entschlossenes – Skelett.
Text: Dr. Katharina Hoppe
Wetere Informationen zu dem Künstler finden Sie unter:
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Bildnachweis: Flo Maak, Collected Stories
Werke aus der Serie „The Red Green“
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