Anna Lena Grau
Weiteres Video: Anna Lena Grau | Hand Catching Clay, 2015
ANNA LENA GRAU
27. Februar – 3. April 2021
Soft Opening: 26. Februar 2021, 11-20 h
THOMAS REHBEIN GALERIE : KOELN
Die Thomas Rehbein Galerie freut sich, die fünfte Einzelausstellung der Künstlerin Anna Lena Grau vom 27. Februar bis 3. April 2021 ankündigen zu können.
Die Hamburger Bildhauerin Anna Lena Grau ist eine Meisterin in experimentalem Kunstguss. Über zwei Jahrzehnte nun schon entwickelte sie geleitet von ihrer poetischen Vorstellung noch unrealisierter Formvorhandenheit oder eines Form-Möglichen das „geschlossene“ Verfahren des Giessens weiter. Dabei bedarf bereits das mehrschrittige Verfahren des traditionellen Handwerks eines hohen fachlichen Wissens und Kunstfertigkeit. Dient der Kunstguss im Allgemeinen dazu über den Abdruck eines Gegenstandes einen weiteren und normalerweise identischen herzustellen, – griff und greift Grau in die Zwischenstadien ein und verselbstständigt Teilschritte des Verfahrens um den künstlerischen Spielraum zu erweitern. Spezifischer gesagt, um den Raum, der zwischen Form-Positiv und Form-Negativ liegt, als eigentliche und selbstständige Form zu ermöglichen.
Was liegt zwischen Form-Positiv und Form-Negativ?
In den „Packstücken“ ist die Figur der verlorenen Form (das Form-Negativ) selbst die eigentliche skulpturale Figur. Grau`s „Packstücke“ stellen die zerlegten Adjutanten der global reisenden Menschen dar, jedem Stück liegt die Abformung eines konkreten Koffers zugrunde. Die Reduktion auf klare, konkrete Elemente und das Fehlen jeglicher schmückender Anteile, -sprich, aller Zusätze, die nicht zwangsläufig zum Objekt gehören – rufen sowohl Minimal, – wie Pop Art in Erinnerung. Grau`s Koffer allerdings sind in ihrer Handlichkeit brüchig geworden und rau – wie in den Schichten seiner Oberfläche aufgeriebenes Schwemmgut. Es sind skulpturale Figuren, die ihr konkrete Gestalt, ihre Form-Positiv überschreiten oder entblättern und in die nächste Dimension des Judd`schen „it is, what it is“ blind und tastend hineinfallen. So zeigt sich dem Betrachter an der Oberfläche der Figuren offen sichtlich die „Befindlichkeit“ der Skulptur. Ihr Situativität, die sich als Kategorie des Raums, der Haptik, der Optik, ihres Gewichts und der gestaltlichen Form äussert.
„Bugs“, eine Gemeischaftsarbeit zwischen Anna Lena Grau und Julia Frankenberg, lässt nicht zuletzt aufgrund der vorhangartigen Aufhängung an Ketten an eine Wand voller Votivtafeln denken. In oder auf Ihnen sind konkrete Abdrücke und Ausstülpungen zu sehen – von Händen, von bestimmten Handgesten und von quasi naiven Refliefformationen, die an vorzeitliche Versteinerungen von Skelletten denken lassen. Einzelne andere Tafeln lesen sich als Aufsprengen dessen, was die Grundlage der vorher identifizierten Formation dient: die vermeintlich flache/sichere Fläche. So ist eines der „Votiv“-Objekte beispielsweise ein Multiplikat an Tafelflächen und bei einem anderen endet die Rahmung als lose Linie.
Sind „Bugs“ in Aluminium veredelte Objekte, die mit dem Fetisch der Votivtafel spielen, manifestiert sich das mit ihnen Gelobte oder Versprochene (das Votum) als Ausbuchtung der lebendigen – oder auch toten Körperform. Körper, die ihrer Gestalt in die Weiche Fläche gedrückt haben, geknetet oder eingedrungen sind. So sind „Bugs“ Etüden einer durchweg unheimlichen Vorstellung. Denn was würde passieren, wenn eine Tafel, ein Screen oder ein Handydisplay plötzlich plastisch und weich werden würde?
Maulwürfe graben phantastische Tunnelsysteme, ja ganze Architekturen durch die verborgenen Erdschichten und das blind. Wir sehen nur die Spuren der Tierchen, den an die Oberfläche beförderten Aushub ihrer heroischen Arbeit: die wohlbekannten Maulwurfhügel. Über diese ärgert man sich oder stolpert auch mal darüber, denn spektakulär sind sie nicht. Organisch krümelige Haufen an Erdmaterie, die weichen mussten, um den Lebensraum des Tierchens zu ermöglichen. Gleichzeitig markieren sie die Ein- und Ausgänge zu den verschlungenen Wegen unter der Erde. Sie sind Wegzeichen, – sie sind Male auf der Erdoberfläche.
Die Maulwurfhügel sind Graus früheste Gussarbeiten. Um das eigentlich weiche Material, die tonige Erde, im Orginal abgießen zu können, machte sie sich in der winterlichen Landschaft auf die Suche nach Maulwurfhügeln. In Plain Air, meist auf Kuhweiden, richtete sie kleine Gießstätten um einzelne der durch den Frost erhärteten Hügelchen ein und nahm von der gefrorerenen, und somit erhärteten Erde mit Schamotte den Abdruck für den Abguss der Form in Bronze. Ihr Blick richtet sich – nun ist sie Forscherin – auf die im Detail wilde Formenlandschaft der Hügel, jeder Einzelne hat seinen eigenen Charakter, ist individuell – auch oder trotz seiner situativen Zufälligkeit. Dies zeigen auch die Fotografien: Eine Bildhauerin, die einem im Verborgenen arbeitenden Meister auf die Spur geht? Bei einem der Hügel sind die Erdbrocken schon etwas abgetragen, bei einem anderen war der Schwung der Aushebung wohl grösser, – die Erde drumherum nasser, oder grobkörniger.
Und doch gilt der Blick auf das Eigenleben der Formationen nicht der Fertigung eines getreuen Porträts oder Identifikation. Graus Untersuchungen gelten nicht dem Phänomen der Oberfläche vielmehr ihrem Brüchigwerden als Grenze zu einem anderen – konkret und imaginär – vibrierend poetischen Raum. Ihre Skulpturen geben den Dingen, die normalerweise dem leblosen Raum zugeordnet werden, ihre Poesie zurück und lassen uns ihre Verletzlichkeit, ihre Ausgesetztheit und Intimität sehen.
(Text von Franziska Glozer, 2020)
Bildnachweis: Curtain, 2017, Aluminium, Ketten / aluminum, chains, Größe variabel / size variable
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