AMADA VERDE
06. November 2021 – 30. Januar 2022
Haus am Lützowplatz
Beteiligte Künstler*innen:
Nathalia Favaro, Marte Kiessling, Milda Lembertaité, Amelia Prazak, Tina Ribartis, Luzia Simons, Stig Marlon Weston, Miki Yui
Zweifelsohne – überall auf der Welt verschwinden Wälder mit alarmierender Geschwindigkeit. Noch vor 20 Jahren war mehr als ein Drittel unseres Planeten von Wäldern bedeckt. Und heute? Nur noch ein Viertel der Landmasse ist von Wald bewachsen. Dieser immense Verlust bedroht die wirtschaftlichen und ökologischen Grundlagen unseres Lebens auf lokaler, regionaler und globaler Ebene. Wie wird sich diese Entwicklung auf unser Leben, unsere Zukunft, unser Überleben auswirken?
Die Ausstellung Amada Verde zeigt eine Auswahl von Künstler*innen, die Teil des internationalen Residenzprogramms LABVERDE in Brasilien waren. LABVERDE möchte die Grenzen der „klassischen“ Kunst erweitern, indem die Teilnehmer*innen an einem intensiven Programm mit Wissenschaftlern und Einheimischen direkt im Amazonas Regenwald teilnehmen und damit ein breites Spektrum an Erfahrungen, Wissen und kulturellen Erfahrungen zwischen Kunst, Wissenschaft und Natur erlangen. Die hierbei entwickelten Arbeiten zu Umweltthemen und den Erfahrungen im Amazonas-Regenwald werden im Haus am Lützowplatz präsentiert.
Alle Künstler*innen beschäftigen sich mit ähnlichen Ideen und Ansichten über Natur, Nachhaltigkeit und die Zukunft unseres Planeten, nähern sich dem Thema jedoch aus unterschiedlichen Blickwinkeln und schaffen so insgesamt einen dichten und üppigen „Dschungel“ an Kunstwerken. Von humorvollen Ansätzen und performativen Arbeiten bis hin zu poetisch-künstlerischen Darstellungen des Verfalls und des sich ständig wiederholenden Kreislaufs des Lebens lädt die Ausstellung die Besucher ein, in den Amazonas Regenwald einzudringen, in die Klänge, die Gerüche…
Über die teilnehmenden Künstler:
Milda Lembertaité und Amelia Prazak
Amelia Prazak ist eine in London ausgebildete Schweizer Künstlerin, sie arbeitet an den Schnittstellen von Video, Kostüm und Performance. Ihre Kunst regt Gedanken über die Beziehung zwischen Menschen, ihrem Körper und ihrer Umwelt an – diese eigentümliche Beziehung, welche die Menschheit in ihrem Drängen nach Aneignung, kultureller Interpretation und Kontrolle entwickelt hat. Es geht um Beobachtung, um Fragmente. Ihre Ausbildung im Bereich Kunst und Theater hat ihr eine Vielzahl von Kooperationen mit Choreografen, Musikern, Tänzern und Filmemachern ermöglicht. Ihr künstlerisches Hauptwerk ist in Partnerschaft mit Milda Lembertaitė entstanden, mit der sie seit 2011 in dialogischem Austausch steht.
https://www.sistersfromanothermister.co.uk
Milda Lembertaitė kombiniert verschiedene künstlerische Medien zu einer nuanciert kritischen Untersuchung unserer Beziehung zu Natur, Technologie und Geschichte mit einem freizügigen Geist der Materialforschung und einer schlauen, oft surrealen Verspieltheit. Wie können wir Wege finden, um zu helfen, wenn wir stehlen, was immer wir anfassen? Was bedeutet es, sich zusammenzuschließen, um uns mit Technologien zu schützen, die im Grunde schädlich sind? Es sind eben diese Spannungen zwischen Intimität und Entfremdung, zwischen „Verbündeten“ und „Touristen“, die die Grundlage für Lembertaits künstlerische Arbeit bilden.
Indem sie natürliche und künstliche, technische Objekte miteinander verbindet und aus persönlichen, kollektiven und erdgeschichtlichen Erzählungen schöpft, verwischt Milda die Grenze zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Erfahrungen und sieht zweifellos auf ein manchmal schönes, manchmal tragisches, aber immer geteiltes Schicksal und fragt: Wie könnten wir uns daran erinnern, woher wir gekommen sind?
Miki Yui and Nathalia Favaro
Nathalia Favaro, geboren in São Paulo, Brasilien, ist Architektin, Designerin und Künstlerin. Diese komplementären Felder spielen in ihrer künstlerischen Forschung eine zentrale Rolle. Sie verwendet Ton, Zeichnungen, Fotografie und Video für ihre Arbeit. Favaro studierte 2006 Architektur an der Mackenzie University und 2010 Design an der Senac. Sie nahm an mehreren Artist-in-Residence-Programmen teil, zum Beispiel am EKWC-European Ceramic Work Center in den Niederlanden im Jahr 2017, bei Gaya Ceramics, Indonesien, und Labverde, Brasilien, beides im Jahr 2018.
Miki Yui, geboren in Tokio, Japan, lebt seit 1994 als Künstlerin, Komponistin und Musikerin in Düsseldorf. Als multidisziplinäre Künstlerin überschreitet sie regelmäßig die Grenzen von Musik, Performance, Zeichnung und Installation. In ihren Werken erforscht sie die Grauzone unserer Wahrnehmung und Vorstellungskraft und schafft subtile und poetische Arbeiten. Sie studierte an der Tama Art University in Tokio, der Kunstakademie Düsseldorf und der Media Art Academy. Ihre Arbeiten werden hauptsächlich in Europa und Asien gezeigt.
„Miki Yuis Arbeit beschäftigt sich mit der Erinnerung an Erlebtes. Sie konzentriert sich insbesondere auf Bilder und Töne und macht die Spur sichtbar, die diese beim Verblassen hinterlassen, direkt nachdem sie aufgetreten sind (im ersteren Fall) oder produziert wurden (im letzteren Fall).“ – Carlo Fossati, e/static
mikiyui.com
Beide Künstler haben an dem Film FLUX mitgewirkt, der im HAL gezeigt wird. FLUX ist ein Film, ein poetischer Essay, der Nathalias Reise durch den Amazonaswald und ihre Begegnungen mit Protagonisten aus dem Wald und am Flussufer zeigt.
Luzia Simons
Luzia Simons, geboren in Quixadá, Ceará, Brasilien, hat Geschichte und Bildende Kunst an der Sorbonne in Paris studiert. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Simons interessiert sich für historische Bezügen und verfolgt in ihren fotografischen und zeichnerischen Arbeiten. Das Eintauchen in den Amazonaswald veranlasste sie, über die Mechanismen nachzudenken, die ihn erneuern, annullieren, umwandeln. Europäische Naturforscher haben die brasilianische Natur in ihren Aquarellen, Zeichnungen und Reisebeschreibungen festgehalten. Simons eigene Aquarelle wiederum entstanden aus Blättern, die von der Künstlerin während der Residenz gesammelt wurden. Anstelle einer traditionellen botanischen Illustration liegt ihr Fokus jedoch auf den Leerräumen der Blätter, welche die Dichotomie zwischen Präsenz und Abwesenheit bilden. In diesem Sinne dienen die Aquarelle als Metapher für den von Mensch und Wirtschaft erzeugten Wandlungsprozess des Waldes, welche unmittelbar Einfluss auf die Klimatischen Bedingungen haben und somit in einer großen Leere enden.
Tina Ribartis
Geboren in Wien, Österreich, lebt in Berlin und Wien. Ribarits arbeitet mit einem konzeptuellen Ansatz in verschiedenen Medien zu Themen der Ökologie, kolonialer und feministischer Vergangeneiten, Exotismus und Nicht-Anthropozentrismus. Sie kombiniert Videos, Fotos, Zeichnungen und skulpturale Elemente in installativen Environments.
Im Zentrum ihrer Arbeit „the other planet“, sowohl räumlich als auch konzeptionell, steht ein üppiger, grüner Wald. Die Kamera bewegt sich langsam über riesige Blätter, untersucht jeden Winkel und lässt den Betrachter in diesen überwältigenden Raum eintauchen… Wie in anderen Werken von Tina Ribarits gibt es jedoch einen Twist. Diese scheinbare Simulation deutet nämlich auf computergenerierte, stereoskopische 3D-Bildgebung hin, ist aber das Ergebnis von Ribarits’ realem Aufenthalt im brasilianischen Amazonasgebiet…
All das will jedoch nicht die Kolonialgeschichte des Amazonasbeckens ignorieren, oder die kolonialen Implikationen “das Wirkliche” gegen das Andere auszuspielen. Ein Video, das eine lange, beharrliche Aufnahme entlang des Amazonas-Flusses zeigt, ist ein klarer, wenn auch multifunktionaler Verweis auf eine Reihe von Quellen, die diese Geschichten in Erinnerung rufen: von “Herz der Finsternis” über “Apocalypse Now” zu “Fitzcarraldo”. Der Kongo, Vietnam, der peruanische und der brasilianische Amazonas sind zu einem einzigen kolonialen Blickwinkel verschmolzen, auf einem Boot, im Wasser fahrend; Teil der Szene, aber auch außerhalb davon. (Johanna Linsley)
Marte Kiessling
Die Menschheit sehnt sich schon lange nach einem Ort, den sie Paradies nennen; dieser mystische Ort, von welchem die Menschen glauben, verbannt worden zu sein und an welchen sie letztendlich zurückkehren möchten. John Milton beschreibt in seinem epischen Roman „Paradise Lost“ den schmerzlichen Verlust, der mit dem verlorenen Paradies einhergeht, aber er ist hierbei nicht der einzige – die Suche nach einer Möglichkeit zur Rückkehr an diesen Ort beschäftigt die Träume und Wünsche der meisten Menschen, oft mittels religiöser Handlung und als Ziel für „korrektes“ Verhalten betrachtet. Aber zurück zur Realität – was ist es wirklich, dieses sogenannte Paradies? Diese Idee, dieser Wunsch, dieser Traum? Ist es ein physischer Raum auf unserem Planeten oder ein mystischer im Jenseits? Oder könnte es auch ein Gefühl sein? Ein Geisteszustand? Der Film PARADISE LOST – THE EDITION OF WISHES verfolgt diesen Gedanken, indem er verschiedenen Personen dieselbe Frage stellt: „Was bedeutet ‚Paradies‘ für dich?“ Vor der Kulisse eines der letzten paradiesischen Orte der Erde, dem Amazonas-Regenwald, erhält der Betrachter die unterschiedlichsten Antworten: von religiösen Ansichten über die Angst vor dem Unbekannten, vom perfekten Tag bis zur kompletten Ablehnung der Vorstellung vom Paradies. Kiessling wurde in Süddeutschland geboren. Derzeit lebt und arbeitet sie in Berlin und nimmt regelmäßig an Projekten, Ausstellungen und Künstlerresidenzen auf der ganzen Welt teil.
Stig Marlon Weston
Weston beschäftigt sich mit prozessorientierter Fotografie und hinterfragt, ob diese wirklich einen wahrheitsgetreuen Standpunkt wiedergeben oder die subjektive Interpretation beschreiben und verdeutlichen kann. Er stellt die Tradition der Landschaftsfotografie in Frage und nahm an LABVERDE teil, um zu untersuchen, mit welchen Methoden er Bilder sammeln kann, die den wissenschaftlichen Aspekt mittels alternativer Formen der Fotografie direkt darstellen. Als Ausgangspunkt wählte er die Einteilung des Regenwaldes in verschiedene wissenschaftlich klassifizierte Gebiete mit spezifischen Merkmalen und sammelte neu interpretierbare visuelle Informationen. So nahm er fotografische Bodenproben aus den kategorisierten Bodenhöhen und testete die bereits definierten Flusswassertypen durch Papiertauchen. Die Dichte Laubs im Regenwald untersuchte er unter Verwendung von Fotopapier, welches bei Vollmond in den Bäumen aufgehängt waren, und Informationen über die Verbreitung und Zusammensetzung der Pflanzen wurden mit weiteren Bögen gesammelt, die wiederum stichprobenartig auf Boden- und Bewuchshöhe verteilt wurden.
Die so entstandenen, künstlerischen Arbeiten zeigen sowohl Licht- und Feuchtigkeitswerte sowie chemische Reaktionen mit den Test“objekten“ durch deren physikalische Wechselwirkung mit den analogen Mitteln der Fotografie.
Bildnachweis: Haus am Lützowplatz, Ausstellungsseite
Haus am Lützowplatz
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