13. April – 29. Juni 2024
Galerie Karsten Greve


Vernissage am Samstag, 13. April 2024, von 17 bis 20 Uhr
mit einer Einführung von Prof. Dr. Christian Spies

Die Galerie Karsten Greve freut sich, 25 Jahre nach der ersten Ausstellung erneut eine Retrospektive zu WOLS (1913 Berlin – 1951 Paris) in Köln zu präsentieren. Die Ausstellung verdeutlicht die herausragende Bedeutung dieses Ausnahmekünstlers anhand von mehr als 50 Arbeiten auf Leinwand und Papier, Fotografien, Druckgrafiken und Archivalien aus der Sammlung von Karsten Greve.

„Wols, kleiner Mann vom Mond, gestrandet unter uns, führt mit gewissenhaft-loyaler Beharrlichkeit seinen eigensinnigen Monolog. Seine geheimnisvollen Hieroglyphen, die es an Feinheit mit der Spinne aufnehmen können, lehren uns die Poesie des interplanetarischen Kosmos und bilden unter den subtilen Brechungen ihres regenbogenfarbig schillernden Lichtes die Fauna, die Flora und sogar die erträumten Menschheiten unsichtbarer Mikrokosmen nach.“, schrieb Jean Sylveire 1943. Wols‘ visionäres Werk reflektiert die Zeit- und Lebensgeschichte des Künstlers, die von Krieg und Exil geprägt ist und für den unaussprechlichen Schmerz und die Verbitterung angesichts der allgegenwärtigen Verfolgungssituation in Europa vor und während des Zweiten Weltkriegs steht.

Musiker, Fotograf, Künstler, Dichter – das universelle Ausmaß von Wols (geboren als Alfred Otto Wolfgang Schulze) Kreativität im Laufe seines kurzen Lebens zeugt von der überdurchschnittlichen Sensibilität für seine Gegenwart. Während der wachsenden Bedrohung durch den Nationalsozialismus geht er 1932 nach Paris, wo er sich zunächst der Fotografie und ihren technischen Möglichkeiten widmet. Der Einfluss der Neuen Sachlichkeit und des Surrealismus zeigen sich in seinen Motiven und Bildausschnitten, insbesondere in Nahaufnahmen und Kontrast- und Solarisationseffekten. 1933, nachdem Wols in Frankreich für fahnenflüchtig und staatenlos erklärt wird, reist er mit seiner Lebensgefährtin Gréty Dabija nach Spanien, zunächst nach Barcelona, dann nach Ibiza und schließlich nach Mallorca, wo er sich dem Aquarellzeichnen widmet und das Paar sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hält. In Barcelona wird er als Deserteur verhaftet, kann aber seine Abschiebung nach Frankreich bewirken. Zurück in Paris, erhält Wols 1937 internationale Anerkennung für seine Fotografien des “Pavillon de l’Élégance“ auf der Weltausstellung und wird mit einer Einzelausstellung in der Galerie La Pléiade gewürdigt.

Nach Kriegseintritt Frankreichs 1939 wird Wols als „feindlicher Ausländer“ in verschiedenen Internierungslagern inhaftiert, u.a. im Camp des Milles bei Aix-en-Provence. Er zeichnet weiter, was für ihn und andere internierte Künstler wie Max Ernst und Hans Bellmer zu einer Überlebensstrategie wird. Während seiner Internierung entwickelt er den Circus Wols, ein Projekt, das als erzieherische, für jedermann zugängliche Aufführung konzipiert war und mithilfe der damals fortschrittlichsten Mittel populäre und wissenschaftliche Kultur, Kunst, Musik und Kino miteinander verband. Der Circus Wols, der einem Gesamtkunstwerk gleichkommt, verhilft ihm sogar zu einem Visum für die Vereinigten Staaten, doch das letzte Schiff aus Marseille erreicht er nicht.

Obwohl nur wenige Notizen, Skizzen und Aquarelle des Circus Wols erhalten sind, wie „Ohne Titel“ datiert um 1940 (W/P 22), zeugt Wols‘ Interesse an Schauspiel und Kino von seinem Traum, eine neue Art von Kunst zu schaffen. Durch eine bewusst fragmentierte Struktur und die Verweigerung eines Konzepts, war der Circus Wols ein geradezu dystopisches Projekt, das einen Vorgeschmack auf die Postmoderne und die Showbranche gab.

Als er 1941 das Camp des Milles verlässt, machte sich Wols „unmerklich und heimlich auf eine bewegungslose Reise“. Seine Flucht vor den Behörden führte ihn über Cassis bei Marseille nach Dieulefit im Departement Drôme, wo er bis zum Ende des Krieges ein unbemerktes Dasein in äußerster Armut führte. Er flüchtet sich in seine Zeichnungen und Gedichte und sucht nach alternativen Realitäten mit Träumen und Alkohol. In seinen Aphorismen drückt er seine Verzweiflung über den Zustand der Menschheit und die Verwüstungen des Krieges aus. Dies ist auch in seinen Aquarellen aus der Zeit, wie „Ohne Titel“ von ca.1942 (W/P 2), erkennbar, die sich detailreich zwischen abstrakten Kompositionen und imaginären Welten bewegen. Das unendlich Große wird unendlich klein; seine Federführung erlaubt ihm eine akribische Genauigkeit, mit der er Mikrokosmen aus organischen und urbanen Elementen erschafft, die durch Tusche und Aquarellfarben verstärkt werden. Von schwerelosen Städten bis zu einer Flottille von Traumschiffen baute Wols eine Utopie, die es ihm ermöglichte, der Realität entgegenzutreten.

Die meisten Gemälde von Wols entstanden ab 1945 mit Unterstützung des Galeristen René Drouin, der ihn durch den Schriftsteller Henri-Pierre Roché kennengelernt hatte. René Drouin versorgt ihn mit Ölfarben und Leinwänden und stellt seine Werke in der Galerie am Place Vendôme aus. Trotz der katastrophalen Nachkriegssituation weckt die Ausstellung ein starkes Interesse in der Pariser Kunst- und Literaturszene und macht Wols zu einer der wichtigsten Figuren der neuen Welt. Wols schuf insgesamt nicht mehr als ca. 80 Gemälde. Die Werke stellen ein tumultartiges Pandämonium mit immer abstrakteren Kompositionen dar, bestimmt von Technik und Materie bestimmend. „Die alten Maler gingen von der Bedeutung aus und fanden Zeichen dafür, aber die neuen gehen von Zeichen aus, denen man nur noch eine Bedeutung geben muss.“,so Jean Paulhan 1962, als er den neuen Wendepunkt in der Kunst definierte. Wols, der oft mit der von Michel Tapié 1963 definierten Bewegung des Informel in Verbindung gebracht wird, war eine Schlüsselfigur der Nachkriegszeit, die das künstlerische Denken neu definierte. Trotz schwerster Lebensbedingungen gelang es ihm, sein Kunstwollen zu bewahren. Als Einzelgänger mit grenzenloser Freiheit der persönlichen Vorstellungskraft hielt er sich stets am Rande der zeitgenössischen Künstlergruppen und -bewegungen auf. Wols, der kleine Mann vom Mond, überwindet jede Kategorie und verkörpert die Freiheit – die des Denkens und die des Seins.

Alfred Otto Wolfgang Schulze, genannt Wols, wurde 1913 in Berlin in eine Familie hoher Beamter geboren. Nach Umzug nach Dresden lernte Wols viele bedeutende Künstler kennen, z.B. Paul Klee, Otto Dix und Oskar Kokoschka. Er war musikalisch begabt und spielte Geige und Banjo. Nachdem er von Genga Jonas in die Fotografie eingeführt wurde, kam er 1933 nach Paris. 1941 heiratet er Gréty Dabija. Von zahlreichen Pariser Künstlern und Schriftstellern verteidigt, blieb Wols während des Krieges in Frankreich, und entwickelte sein künstlerisches Werk bis zu seinem Tod am 1. September 1951 im Alter von 38 Jahren. 1951 wurde Wols zusammen mit Jackson Pollock ausgestellt, was eine historische Begegnung zwischen der französischen und der amerikanischen nicht-figurativen Schule markierte. 1958 wird sein Werk auf der Biennale in Venedig und 1964 auf der documenta in Kassel gezeigt. 1974 widmet ihm das Musée d’Art Moderne de Paris eine Retrospektive, 1989 folgen das Kunsthaus Zürich und die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, später die Menil Collection in Houston (2013) und das Centre Pompidou in Paris (2020). Seine Werke befinden sich in den weltweit bedeutendsten Sammlungen, wie dem MoMA und dem MET in New York, der Menil Collection in Houston, dem Art Institute in Chicago, Tate London, der Nationalgalerie in Berlin, dem Kunstmuseum Basel und dem Centre Pompidou in Paris.

Bildnachweis: Ohne Titel, ca. 1942, Tusche und Aquarell auf Papier, 18,5 x 27 cm (Detail)


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