ULRICH RÜCKRIEM ZEICHNET
17. Februar bis 15. Mai 2024
Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum Düren
Pressevorbesichtigung: 15. Februar um 11 Uhr
Eröffnung: 16. Februar um 19 Uhr
In der Ausstellung „Ulrich Rückriem zeichnet.“ im Leopold-Hoesch-Museum zeigt der Künstler, der 1938 in Düsseldorf geboren wurde, über 2.200 Buntstiftzeichnungen auf DinA7-Karteikarten, die in einer einzigen, durch den Ausstellungsraum führenden, 164 Meter langen Linie installiert sind. Die räumliche Inszenierung lädt die Betrachtenden dazu ein, die Zeichnungen abzuschreiten wie einen Weg. Jede der Karteikarten zeigt eine einfache amorphe Form in Schwarz, Weiß, Gelb, Rot oder Blau. Manche erinnern an Wolken oder Geister. Die eine oder andere dieser Figuren taucht außerhalb der Installation als schattenhafte Silhouette an unterschiedlichen Orten des Museums wieder auf. Zwei weitere, kleinere Zeichnungszyklen zeigen Variationen der amorphen Motivik.
Das Zeichnen war stets Teil des täglichen Arbeitsprozesses Ulrich Rückriems, der in den 1950er Jahren seine Steinmetzausbildung in Düren absolvierte, wo er 1964 im Leopold-Hoesch-Museum auch seine erste institutionelle Einzelausstellung hatte. Zunächst sind hier die konzeptuellen Skizzen für seine Steinskulpturen oder für deren räumliche Anordnung zu erwähnen. Diesen funktionalen Zeichnungen stehen seit den 1970er Jahren autonome Zeichnungen gegenüber. Darunter befinden sich einige Grafitarbeiten, die mit der Form eines schwarzen Quadrats spielen. Rückriem trägt dafür mit Grafit ein schwarzes Quadrat so auf zwei nebeneinanderliegende Transparentpapiere auf, dass es in zwei Teile geteilt wird. In seiner Ausstellung im Kunst Museum Winterthur 1991 wurden die Blätter dann sowohl überlappend als auch an gegenüberliegenden Ausstellungswänden präsentiert, sodass sich aus diesen zweidimensionalen Werken auch dreidimensionale Raumgefüge ergaben. Später übertrug er in einem von ihm selbst entwickelten Verfahren Partien geometrischer Grafitflächen auch mit Klebestreifen von einem Transparentpapier aufs andere, teilte sie also, und fügte sie wieder neu zusammen. Seit den frühen 2000er Jahren liegt der Schwerpunkt seiner Arbeit auf den Zeichnungen, zunächst auf den „gebundenen Figurationen“, die sich am Damenproblem aus dem Schachspiel orientieren, später auf „freien Figurationen“, für die er in Anlehnung an Wassily Kandinskys Bauhaus-Buch auch den Titel „Punkt und Linie zu Fläche“ verwendet. Diese Buntstiftzeichnungen beruhen auf dem Spiel mit den Verbindungslinien von meist sieben frei auf dem Blatt gesetzten Punkten und den Flächen, die sich zwischen diesen Linien ergeben. Auch Rückriems Deckengemälde „The Conference of the Birds“, das seit 2011 die Kuppel des Leopold-Hoesch-Museums schmückt, folgt diesem Gestaltungsprinzip. Wie Vögel, die aus Papier gefaltet wurden, umkreisen die Zeichnungen in Blau, Rot, Grau und Gold die Museumskuppel.
Anders als in diesen frühen Werkkomplexen zeigt Ulrich Rückriem im Leopold-Hoesch-Museum nun Zeichnungen, mit denen er sich weitestmöglich von Regelsystemen freimacht. Die einzelnen Zeichnungen zeugen von erstaunlicher Absichtslosigkeit. Sie entstehen aus einer locker aufgetragenen Linie, die sich zu einer amorphen Form schließt. Form und Außenraum werden anschließend ausgemalt. Es geht also nicht um Verfeinerung — etwa des Farbauftrags — oder um einen subjektiven Ausdruck im Sinne eines künstlerischen Gestus. Vielmehr macht Rückriem hier, wie in seinen Skulpturen, auf die Eigenart des verwendeten Materials aufmerksam, indem er die Spur des Buntstifts sichtbar stehenlässt.
Als Bildhauer ist Ulrich Rückriem für seine großen Steinskulpturen bekannt, für die er Steinquader teilt, indem er sie spaltet oder zerschneidet, und sie dann wieder zusammenfügt, und für Installationen, in denen er dieselben nach bestimmten Ordnungssystemen im Raum anordnet. Wie bei Künstler*innen der Minimal Art üblich, stehen Rückriems Arbeiten keinesfalls auf einem Sockel, der sie aus der Alltäglichkeit hervorheben würde, sondern als Objekte im Raum, zu denen sich die Betrachtenden mit ihrem eigenen Körper verhalten müssen. Durch dieses Vorgehen werden die ursprüngliche Materialität des Steins, sein Gewicht und seine Struktur besonders gegenwärtig. Mit den wiederholten Teilungen, deren Arbeitsspuren sichtbar bleiben, macht Rückriem, wie der Kurator Dieter Schwarz 1991 feststellte, aber vor allen Digen auf die Arbeitsprozesse „seiner Berufsarbeit als Steinmetz“ aufmerksam. „…[E]r bezog sich auf die Arbeitsprozesse, das heisst auf die in der Zeit stattfindenden Vorgänge, die auch in der historischen Moderne nur in Ansätzen thematisiert worden waren: ‚Arbeitsprozesse müssen ablesbar sein und dürfen nicht von nachfolgenden verwischt werden.‘“ zitiert er Rückriem.
Auf ähnliche Art und Weise legt der Künstler auch in seinen Buntstiftzeichnungen seinen täglichen, repetitiven Arbeitsprozess offen. Ein Video vom Sohn des Künstlers, Lucas Rückriem, das in der Ausstellung im LHM zu sehen ist, dokumentiert die Entstehung einer solchen Arbeit. Aber auch die Zeichnungen auf den Karteikarten selbst scheinen die Zeit der eigenen Herstellung zu speichern. Erst durch die rhythmisierende Reihung der Karten im Raum öffnet sich ein musikalischer Möglichkeitsraum unendlicher Variationen. Allerdings zeigt die Ausstellung nur einen Teil der täglich entstehenden Zeichnungen und keinesfalls einen abgeschlossenen Werkkomplex; sie hat den Charakter einer vorübergehenden Darbietung für die Ausstellungsbesucher*innen. Die Zeichnungen umschließen den Raum wie eine unendliche Linie, sie umgeben die Betrachtenden, die sich durch den Raum bewegen müssen, um die Installation zu erfassen, wie ein Gürtel. Die Wahrnehmung der Installation ändert sich für den Einzelnen beim Durchkreuzen des Raums ständig. Die Ausstellung stellt auf diese Weise ein Gefüge mehrerer Zeitebenen dar, einen Raum, in dem verschiedene Formen von Gegenwart und Vergänglichkeit aufeinandertreffen.
Bildnachweis: Ulrich Rückriem beim Zeichnen, 2023, © Filmstill von Lucas Rückriem
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