Meinrad Schade. Krieg ohne Krieg
Ausstellung
MEINRAD SCHADE. KRIEG OHNE KRIEG.
3.10.2020 – 10.1.2021
(Singen, 16.09.2020) „Das sind Kriegsbilder. Das sind keine Kriegsbilder. Diese Bilder sind ein Widerspruch in sich.“ – mit diesen Worten hat die langjährige Redakteurin der ›Neuen Zürcher Zeitung‹, Daniele Muscionico, die Faszination und das Janusköpfige beschrieben, das von der fotografischen Langzeitstudie ›Krieg ohne Krieg‹ des Fotografen Meinrad Schade ausgeht. Im Kunstmuseum Singen wird die Serie erstmals umfassend in einem deutschen Museum, vom 3. Oktober 2020 bis 10. Januar 2021, gezeigt.
Ist von Kriegsfotografie die Rede, so denken die meisten Menschen an Fotojournalist*innen, die über Kriege und bewaffnete Konflikte berichten. Berühmte Kriegsfotografen wie Robert Capa, Don McCullin oder James Nachtwey sind von der Aura umgeben, >nahe dran< (Capa) gewesen zu sein. Die Evolution der Gewalt in der Moderne, die Gegenwart von Krieg und Leid in unserem Alltag, sind ohne die Präsenz moderner bildgebender Verfahren in den Medien nicht denkbar.
Doch ob und wie die Kriegsfotografie >wirkt< oder ob sie >wahr< ist, das ist heftig umstritten. „Kriegsfotografie ist wie keine andere Fotografie mit Ideologien, Politik und Moral (…) durchsetzt“ (Bernd Hüppauf). Meinrad Schade, hineingestellt in diese Gemengelage, arbeitet anders: „Seit rund 20 Jahren arbeite ich an meinem fotografischen Projekt >Krieg ohne Krieg<. Im Gegensatz zur klassischen Kriegsfotografie geht es mir um Schauplätze, die sich in unterschiedlicher räumlicher und / oder zeitlicher Distanz zu den Kriegen befinden. Mein Fokus liegt nicht auf dem eigentlichen Kriegsgeschehen, sondern auf der Frage wie sich ein Konflikt im Alltag zeigt“ (Meinrad Schade). Der Fotograf rückt das Davor, Danach und das Daneben kriegerischer und langandauernder Konflikte in den Fokus: „Ich mache Kriegsbilder, ohne in den Krieg zu ziehen“ (Meinrad Schade).
Seit 2003 reist Meinrad Schade in die Staaten und Krisengebiete der ehemaligen Sowjetunion, nach Israel und Palästina, aber auch nach Großbritannien und Frankreich und dokumentiert dort Paraden, >vaterländische< Museen, Dioramen, Denkmäler, Friedhöfe, Übungsgelände, Ruinen und Erinnerungsrituale, aber auch die Waffenmessen, Testgelände und Schießstände. Deren Präsenz hat sich, vor Ort, ins kollektive Gedächtnis der Menschen, in deren Gesichter und Körper, eingeschrieben. Sind das normale, friedliche Bilder? Schade interessiert sich für die Auswirkungen und für die Präsenz des Krieges im ganz >normalen< Leben, Tag für Tag. Sein Antrieb ist Neugierde und Erkenntnisdrang: Wann eigentlich ist ein Krieg vorbei? Kann ein Konflikt als >beendet< gelten, wenn sich seine Spur visuell wirkmächtig in die Existenz jedes einzelnen Menschen einprägt? Was >lehrt< der Krieg die Menschen vor Ort? Und: Wie wirkt das auf uns?
Krieg ohne Krieg< ist längst „zu meinem Lebensprojekt geworden“, so Meinrad Schade. Die Langzeitstudie zeigt keine spektakulären Bilder der Gewalt, sondern zeichnet seismographisch auf, wie die Bildsprache des Krieges ganze Gesellschaften – ihre Erinnerungen, Räume und Orte – bestimmt. Schades Farbaufnahmen, die der unabhängig arbeitende Fotograf sorgfältig komponiert und knapp kontextualisiert, wirken auf den zweiten Blick. Sie zu entschlüsseln, ist ein Beitrag gegen das Verschwinden der Bilder auf dem digitalen Kampfplatz (Gerhard Paul).
Meinrad Schade, geboren 1968 in Kreuzlingen (Thurgau), arbeitet seit 2002 als freier Fotograf in Zürich. Der lange als Sozialbetreuer tätige Biologe entschied sich nach dem Studium für die Fotografie. Nach Kursen und einer Ausbildung in den 1990er Jahren in Zürich und Luzern fand er über sein erstes Langzeitprojekt: >Migration. Heimatverlust in Europa< (1999-2004) zu seinem Thema. Sein Werk wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien, u.a. mit einem Swiss Photo Award 2011, ausgezeichnet. Seinem Buch >Krieg ohne Krieg<, erhältlich in der Ausstellung, wurde 2018 ein Deutscher Fotobuchpreis in Silber zuerkannt. In der Schweiz wurde Schades Arbeit bereits in Einzel- und Gruppenausstellungen vorgestellt und ist in namhaften Fotosammlungen vertreten.
Bildnachweise:
Meinrad Schade, Volvograd, 2009 © VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Meinrad Schade, Jericho, Westjordanland, 2014 © VG Bild-Kunst, Bonn 2020
Kunstmuseum Singen
Ekkehardstr. 10, 78224 Singen, www.kunstmuseum-singen.de
Öffnungszeiten: Di-Fr: 14 -18 Uhr / Sa + So: 11-17 Uhr / Feiertag: wie Wochentag