22. Juli – 17. September 2023
Badischer Kunstverein


Die Ausstellung Automatik ist eine umfassende Präsentation der Künstlerin Margaret Raspé, die in Kooperation mit dem Haus am Waldsee in Berlin gezeigt wird. Ursprünglich für die Berliner Ausstellung konzipiert, verdeutlicht die erstmalige Zusammenstellung wichtiger Werke und Werkgruppen das dichte und einzigartige Schaffen Raspés der letzten 50 Jahre.
Zentrales Interesse der Künstlerin ist das Austarieren verschiedener Wahrnehmungs- und Beobachtungsprozesse in der uns umgebenden Umwelt, Natur und Technik sowie in dem spannungsreichen Wechselverhältnis dieser Kontexte zueinander. In ihren Arbeiten setzt Raspé so unterschiedliche Medien wie Film, Video, Zeichnung, Malerei, Performance, Installation, Audio, Text und Fotografie ein. Körperarbeit, Heilarbeit und Konkrete Poesie sind weitere zentrale Themen ihrer Praxis, ebenso wie ein zivilisationskritisches Denken und seit Mitte der 1980er Jahre ein stetes Engagement für Natur und Landschaft, das sich auch in den von ihr initiierten, regelmäßigen Diskussionsrunden und Ausstellungen im eigenen Garten manifestierte (Versuchsstationen, 1985–93).

1971 erfand Margret Raspé den Kamerahelm, um ihre alltäglichen Tätigkeiten in der Küche in Echtzeit zu filmen und parallele Handlungs- und Wahrnehmungsprozesse zu untersuchen. Als alleinerziehende Mutter war sie mit den sich wiederholenden, mechanischen Arbeiten im Haushalt konfrontiert und stellte fest, dass dieser Automatismus dazu führte, nicht mehr genau wahrzunehmen und regelrecht abzustumpfen. So fing sie an, detaillierter zu beobachten und den Sinn für minimale Veränderungsprozesse zu schärfen. Um diese Transformationsprozesse filmen zu können, installierte sie eine Super-8-Kamera auf einem Bauarbeiter:innenhelm und ihre Körperbewegungen bedingten jeden Bildausschnitt. Es gelang Raspé, eine Zentralperspektive auf das Geschehen zu richten, die filmische Trennung von Subjekt und Objekt aufzuheben (sie war Auge und Stativ zugleich) und Hand- und Kopfarbeit miteinander zu verbinden.

Spülen, Sahne schlagen, Kuchen backen: In all diesen vermeintlich banalen Tätigkeiten werden Materialien transformiert und es muss zunächst etwas zerstört werden, bevor anderes entsteht. So wirkt das Schlagen der Sahne bis zur Butter in dem Film Der Sadist schlägt das eindeutig Unschuldige (1971) als aggressiver Umwandlungsprozess oder das Schlachten eines Huhns in Oh Tod, wie nahrhaft bist Du (1972–73) als ein zum Essen notwendiger Tötungsakt und eine Metapher für den Ausbruch aus festgezurrten Geschlechterrollen: „Als ich das Huhn tötete, habe ich auch eine Vorstellung von mir selbst getötet: Du blödes Huhn. Nie mehr werde ich ein Huhn sein!“ (Margaret Raspé). Andere Filme aus dieser Serie schärfen wiederum den Blick für die poetischen Momente alltäglicher Arbeiten, wenn das Geschirr rhythmisch durch das schaumige Wasser gezogen wird (Alle Tage wieder – Let them swing, 1974) oder die Teller und Tassen im Trocknen eine kurzzeitige Erscheinung als Skulptur erleben (Sekundenplastiken, 1974).

Margaret Raspés Kamerahelm-Filme beleuchten die unterbewertete Hausarbeit als Frau und Mutter in einem männlich dominierten Milieu, verstehen sich aber auch als eine generelle Kritik am kapitalistischen Warenkonsum. Raspé aktiviert Wissen, das sich im Körper als Konditionierung eingeschrieben hat. In diesem Zusammenhang steht auch ihr Interesse an mentalen Prozessen der Trance und Strukturen des Rituals, denen sie in ihrem Dokumentarfilm Anastenária – Das Fest der Feuerläufer von Lagadás (1978–85) nachgeht. Zugleich sind ihre Werke Versuchsanordnungen, mit denen sie den Automatismen in Arbeitsprozessen und in Zuständen unbewussten Handelns nachgeht. So erstellte die Künstlerin täglich und insgesamt Tausende von automatischen Zeichnungen und nutzte den Kamerahelm Anfang der 1980er Jahre erneut, um sich beim unbewussten Prozess des Malens direkt und ungeschnitten zu filmen (Gelb, Rot und Blau Entgegen, 1983).

Auch bei öffentlichen Performances interessierte Margaret Raspé die nicht kalkulierbaren, körperlichen Herausforderungen. In Blindschnitt (1987) schob die Künstlerin mit verbundenen Augen einen Rasenmäher und versuchte die Form eines Mäanders als Zeichnung in den Rasen zu schneiden, was scheiterte, da durch die verbundenen Augen die Kontrolle für den rechten Winkel fehlte und sich die Linien wahllos überlagerten. Hier markiert sich bereits ein Übergang zu Arbeiten Raspés, die sich mit der Verbindung von Kunst und Ökologie auseinandersetzen. Schon in den 1970er Jahren beschäftigte sich die Künstlerin mit der Verbindung von Natur und Technik; in ihrem Begriff von Ökologie wurden die Apparaturen aber nicht ausgeschlossen, sondern bewusst einbezogen, wie beispielsweise in der Video-Raumskulptur Videomiel (1990), in der Bildschirme von portablen Fernsehgeräten mit Bienenwaben überzogen sind – ein Hinweis auf die Analogie von Wabenraster und Punktraster einer Videobildauflösung und ein Versuch, Kultur und Natur in ein symbiotisches, sich gegenseitig nährendes und (zurück)gebendes Verhältnis zu setzen.

Raspés biopolitisches Engagement verdeutlicht sich besonders in ihren Arbeiten im Außenraum und in der Landschaft. Auch hier werden technische mit natürlichen Elementen verbunden und ephemere Materialien wie Rohwolle oder Pappmaché recycelt und umgeformt – eine nachhaltige Praxis, der sie von Anbeginn nachging. 1990 stieg die Künstlerin in einen durch Farbe und Lacke verseuchten Fluss im polnischen Łódz, um auf die massive Verschmutzung und Ausbeutung der Ressource Wasser zu verweisen. Ihr weißes Hemd war anschließend stark verschmutzt und der Versuch, durch Obertöne singend auf dem eigenen Atem zu bleiben, misslang durch die ätzenden Chemikalien. Dieser Selbstversuch ist die wohl radikalste Performance der Künstlerin, um deutlich zu machen, dass Wasser nicht mehr Wasser ist, sondern das zeitgenössische Bild einer den menschlichen Körper bedrohenden, ausgebeuteten Natur.

Margaret Raspé (*1933 Breslau) studierte zwischen 1954 und 1957 Malerei und Mode an der Kunstakademie München und an der Hochschule für Bildende Künste, Berlin. In den frühen 1970er Jahren nahm sie ihre künstlerische Arbeit mit der Erfindung des Kamerahelms wieder auf und es entstanden die frühen Experimentalfilme. Ab den frühen 1980er Jahren gab es erste öffentliche Installationen und es begannen die Ausstellungen im Garten ihres Hauses im Rhumeweg 26 in Berlin Zehlendorf (bis 1993). Ihr Haus wurde zum diskursiven Ort, hier trafen sich Künstler:innen, Theoretiker:innen, Autor:innen und Aktivist:innen, besonders aus dem Umfeld des Wiener Aktionismus, der Wiener Gruppe (unter anderem Günter Brus, Peter Kubelka, Hermann Nitsch, Oswald Wiener oder Gerhard Rühm) und der Berliner Fluxus-Szene (Joe Jones, Joël Fischer, Joan Jonas, Ann Noël und Emmett Williams). Ab 1985 widmete sich Raspé einer Lehrtätigkeit in Körperarbeit (Konzentration und Bewegung); Yoga war ein ständiger Begleiter ihrer Praxis. Margaret Raspés Arbeiten wurden in Deutschland bislang nur selten gezeigt, ihre Filme fanden jedoch schon früh internationale Aufmerksamkeit und wurden u.a. in den Anthology Film Archives in New York und in der Hayward Gallery in London gezeigt. Ihre filmischen Arbeiten befinden sich in den Sammlungen der London Filmmakers’ Coop und in der Deutschen Kinemathek, Berlin.

Bildnachweis: Ausstellungsbanner


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