Juli 2022 – 6. November 2022
Kunsthalle Bremen


In der Kunst ist der nackte männliche Körper in all seinen Facetten zu finden: Antike Helden mit athletischen Körpern, christliche Märtyrer in schmerzverzerrter Pose, lässige Badende und Freizeitsportler, klassische Aktmodelle und Selbstbildnisse. Die Ausstellung „Manns-Bilder. Der männliche Akt auf Papier“ (6. Juli – 6. November 2022) zeigt eben diese Bandbreite von Darstellungen vom 15. bis 20. Jahrhundert. Die ausgestellten Werke stellen zeitlose Fragen nach Schönheit und Männlichkeit, die uns bis heute bewegen. Dabei spielt sowohl der Blick von Männern wie Albrecht Dürer, als auch von Frauen wie Paula Modersohn-Becker eine Rolle.

In der Renaissance reichten 8 x 5 cm um Pornografie dazustellen: Auf einem kleinen Blatt sieht man wie ein nackter Mann und eine nackte Frau sich gegenseitig sexuell erregen und damit die Augenlust der Betrachtenden bedienen. Selbst aus heutiger Sicht traut man beim Anblick solcher Werke kaum den eigenen Augen. Der Künstler Sebald Beham war berühmt berüchtigt für derartige Darstellungen und zu Lebzeiten sorgten seine Werke für Aufregung. Man nannte ihn einen „gottlosen Maler“ und inhaftierte ihn vorübergehend. Der ehemalige Direktor der Kunsthalle Bremen, Gustav Pauli, unterstellte ihm eine „vulgäre Gesinnung“. Auf der Grundlage des bedeutenden Bestandes von Beham-Grafik im Kupferstichkabinett der Kunsthalle Bremen, verfasste Pauli 1901 das erste richtige Werksverzeichnis der Druckgrafiken von Sebald Beham, das aktuell von der ehemaligen Kustodin des Bremer Kupferstichkabinetts Anne Röver-Kann überarbeitet wird. Die Kunsthalle Bremen ist somit eng mit der Beham-Forschung verbunden.

Doch Behams Art den männlichen Körper zu inszenieren ist in der Kunst nur eine von vielen. Das erste naturgetreue Selbstbildnis als Akt stammt beispielsweise auch aus der Renaissance: Albrecht Dürer zeichnete sich in drei Selbstbildnissen mehr oder weniger nackt, zwei davon gehören dem
Kunstverein in Bremen. Eins der Werke ist ein Kriegsverlust, ist aber durch eine Reproduktion in der Ausstellung präsent. Rückblickend waren diese Werke in der Renaissance singuläre Höhepunkte in der Entwicklung der Aktdarstellung, wenngleich es private Zeichnungen waren.

Die Ausstellung in den beiden Studiensälen des Kupferstichkabinetts gliedert sich in sieben Kapitel. Neben erotischer Renaissancegrafik werden mythologische Akte, christliche Themen, Allegorien, Aktstudien und Selbstbildnisse, Badende und Sportler sowie bewegte Körper in den Blick genommen.

Nackte Männer in sieben Akten

Das Zeichnen nach dem lebenden Aktmodell gehörte lange zur künstlerischen Grundausbildung. Die Tradition des Aktzeichnens verbreitete sich ab der Renaissance im 15. Jahrhundert von Italien aus. Doch angehende Künstler mussten sich dafür erst qualifizieren, indem sie sich im Zeichnen nach Vorbildern wie beispielsweise antiken Statuen sowie im Zeichnen nach „toten Plastiken“, also nach von nackten Menschen abgenommenen Gipsmodellen, übten. Erst dann durften sie zur Königsdisziplin – dem Zeichnen nach dem lebenden Aktmodell – übergehen. Da es Berufsmodelle noch nicht gab, dienten Werkstattmitarbeiter, Familienangehörige, Arbeiter oder Badehausbesucher als Modelle.

Bis in die Moderne hatten Kunstakademien das Monopol auf den Unterricht im Aktzeichnen. Dies bedeutet, dass Künstlerinnen vom Zeichnen nach dem lebenden Modell ausgeschlossen waren. Denn sie wurden bis in das 20. Jahrhundert an staatlichen Akademiebetrieb in der Regel nicht zugelassen. Noch Paula Modersohn-Becker konnte als Frau nur an privaten Kunstschulen Malerei studieren, in denen sie um 1900 in Berlin und Paris immerhin auch nach männlichen Aktmodellen zeichnen durfte.

Die Fortschritte in der Medizin kamen auch der Kunst zugute. Denn das neue Wissen um die inneren Zusammenhänge des menschlichen Bewegungsapparates verbreitete sich über anatomische Studien, anhand derer Künstler den nackten Körper noch besser darstellen konnten. Ein Beispiel sind dafür die fünf akrobatisch posierenden nackten Männer des Juste de Juste. Ihre beweglichen Körper stellen nicht nur ihre Muskeln, sondern auch die Kunstfertigkeit ihres Schöpfers zur Schau. Heute weltberühmt sind die Darstellungen körperlicher Bewegung des britischen Fotografen Eadweard Muybridge. Seine Bewegungs-Phasen-Fotografie zerlegt eine Bewegung in einzelne Sequenzen.

In der christlichen Kunst des Mittelalters kommen nackte Körper selten vor. Seit der Renaissance nutzten Künstler allerdings auch biblische Sujets, um christlich legitimiert Nacktheit in der Kunst zu zeigen. Nacktheit wurde in der christlichen Kunst im Zusammenhang gezeigt mit Unschuld, Sünde, Leid oder göttlicher Schönheit. Komplette Nacktheit, wie sie in der Renaissance etwa Marcantonio Raimondi ins Bild setzte, blieb in der christlichen Kunst jedoch umstritten. So wurde im Zuge der Gegenreformation die radikale Nacktheit von Michelangelos Bildgestalten des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle in Rom vom Klerus als anstößig empfunden und durch Daniele da Volterra übermalt, der deshalb scherzhaft „Unterhosenmacher“ genannt wurde.

Männliche Akte haben in der Kunst oftmals auch eine allegorische Bedeutung. Das Motiv der Vergänglichkeit kann etwa durch einen nackten Knaben mit Seifenblasen ins Bild gebracht werden und Personifikationen der Zeit wurden traditionell durch einen älteren nackten Mann mit Sense und Flügeln verkörpert.

Diese Vielfalt bezeugt die Bedeutung des männlichen Aktes in der europäischen Kunstgeschichte. Denn dieser steht seit der griechischen Antike im Zentrum der Kunst. Bis weit in die Neuzeit prägten die klassischen Skulpturen von nackten Männerkörpern die künstlerische Darstellung männlicher Nacktheit im Sinne einer Idealvorstellung. Seit dem Mittelalter wurde Nacktheit auch als Kennzeichen mythologischer Figuren verbildlicht, selbst dann, wenn diese in den schriftlichen Quellen in prachtvollen Rüstungen auftraten. Anders verhält es sich mit weiblichen Akten, wie Skulpturen aus der griechischen Antike deutlich machen: Die Kuroi, archaische Statuen junger Männer, sind nackt, während ihre weiblichen Pendants, die Koren, bekleidet dargestellt wurden. Die Unterscheidung zwischen männlicher und weiblicher Nacktheit wurde typisch für die Geschichte des Aktes.

Allerdings war dies teilweise auch den jeweiligen damaligen Gepflogenheiten geschuldet: Max Liebermann interessierten die bewegte Körper in der Natur. Im gleißenden Sonnenlicht zeigt er Badende die sich an und ausziehen oder schon ins Meer laufen. Strandbäder hatten sich im Laufe des Jahrhunderts etabliert, wobei die Geschlechtertrennung noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein aufrechterhalten wurde, weshalb auf diesen Bildern keine weiblichen Akte zu sehen sind.

Künstlerinnen in der Ausstellung

Die Ausstellung „Manns-Bilder. Der männliche Akt auf Papier“ zeigt eine Bandbreite von Darstellungen des 15. bis 20. Jahrhunderts. Die ausgestellten Werke stammen von prominenten Künstlerinnen wie Albrecht Dürer, Marcantonio Raimondi, Agostino Carracci, Hendrick Goltzius, Rembrandt, Angelika Kauffmann, Paul Cézanne, Paula Modersohn-Becker, Max Klinger, Renée Sintenis und Max Beckmann. Eine neu entdeckte Zeichnung von Giulio Clovio ist ebenso zu sehen wie eine erstmals ausgestellte und bisher unpublizierte Zeichnung von Anton Raphael Mengs. Insgesamt werden über 70 Zeichnungen und Druckgraphiken aus dem eigenen Bestand in den beiden Studiensälen des Kupferstichkabinetts ausgestellt, darunter selten gezeigte Schätze.

Die Ausstellung wurde durch Mittel aus dem Nachlass von Ralf Hartel, Bremen, ermöglicht.

Bildnachweis: Henri Gabriel Ibels, Drei Ringer auf einer Bühne, ca. 1892/93


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