104. Kabinettausstellung des Kunstvereins Bayreuth

Die Bamberger Künstlerin Ulla Reiter hat mit ihren Skulpturen bereits weit über Ihren Wohnort hinaus Furore gemacht. Sie treffen den Betrachter mit Wucht. Es sind martialisch wirkende Figuren aus einer anderen, mystischen Welt und doch allesamt aus weichem Schaumstoff geformt. Die Künstlerin verarbeitet das Material in bewusst klassischer Bildhauertechnik. Mit Weberscheren und Sezierbesteck werden die kantigen Figuren aus dem Block geschnitten.

Teils assoziativ, teils in direkter Bezugnahme auf die Konsum-, und Online-Spielwelt oder auf zeitgenössische Bildquellen, lassen Ulla Reiters Skulpturen aus Weichem Hartes werden und aus Starkem Sanftes.

Mystische Wesen, Weltraumritter und Tödchengewächse – aus einem Re-Mix verschiedenster Versatzstücke entsteht, was den Betrachter auf irritierende und manchmal leicht ironisierende Weise zu neuen Blickweisen anregen soll. Die reale Welt im Zerrspiegel. Proportionen werden entgegen ihrer früheren Bedeutung verschoben, eigene Ornamente entworfen und schließlich aus einem Block geschnitten. Die Vergänglichkeit des Materials stellt sich dem autonomen Emporwachsen der Skulptur in Bezug auf das Vanitasmotiv dialektisch entgegen. Oftmals sollen die Arbeiten durch ihre Überladenheit und Dimension gleich der Überwältigungsstrategie barocker Bildhauer verblüffen – oder aber man findet eine verschlüsselte Welt in seltsam kleiner Verschränkung vor.

Die das Kabinett dominierende Arbeit nennt sich „Power Tussle“ (Kampf um die Macht). Kleine Machthungrige und Politiker sind zu einem clownesken Reigen des Strebens nach Macht angetreten. Mit Gesten des Redens und des Ereiferns, die aus „Der große Diktator“ mit Charlie Chaplin und von Aufnahmen vergangener Diktatoren inspiriert sind, umkreisen sie sich. Die Kleidung verweist auf alte Clownskostüme.

Die figurative Serie der von Größenwahn angetriebenen und bizarr tanzenden vier Figuren wurde durch die aktuellen Entwicklungen in Politik und Gesellschaft beeinflusst. Anfangs noch in bunt angedacht, entschied sich die Künstlerin gegen Ende für ein monochromes Schwarz.

Rechts neben dem Eingang steht „Atlas“. Als Rückgriff auf Mähnenwolf und Barocktänzer / Moriske stemmt er sich in seinen eigenen Block. Die Last zwingt ihn beinahe in die bestiefelten Knie. Er hat zwei Gesichter, ein entspanntes und ein angespanntes, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man ihn ansieht. Am Rücken wächst ihm wildes Fell über sein Kostüm.

Die Skulptur nimmt Bezug auf Michelangelos Skulptur Atlas-Sklave, die in dem Spannungsfeld Figuration und Abstraktion steht. Es wurde bewusst rudimentär gearbeitet und Prozessspuren / Teile des Blocks stehengelassen.

Für die Installation ANOTHER DOOR, die eigens für die Kabinettausstellung im Kunstverein Bayreuth entworfen wurde, entstand zunächst eine Serie aus mehreren, kleineren Wachsmodellen. Das Werk nimmt Bezug auf Rodins Höllentor, dreht jedoch das Ganze um und zeigt aufsteigende Elemente. Geheimtür in eine andere Welt oder humorvolle, kulturelle Anspielung? Halbtierische Fabelwesen mit Insektenrüsseln, menschliche Aufwärtsstrebende mit Paradiesvogelfedern und andere Mischwesen bewegen sich frei nach oben.  Die Gesichter dieser sich emporkämpfenden Wesen sind bewusst schemenhaft, Schwerpunkt liegt auf den bewegten Körpern.

Die Wachsmodelle wurden von einer traditionellen Gießerei teilweise in Aluminium gegossen und sollen in dem alten Wandschrank im Kabinett des Barockrathauses installiert werden bzw. in den Raum hineingreifen. Für die Künstlerin stellt diese Installation einen Neubeginn dar, da sie bislang hauptsächlich mit dem Werkstoff Schaumstoff gearbeitet hat.

Die Ausstellung wurde ohne Vernissage eröffnet und ist seit 18. Oktober zu sehen. Ausstellungsdauer bis 12. Januar 2021; Öffnungszeiten: Di. – So. 10.00 bis 17.00 Uhr.

 

Kunstverein Bayreuth e.V.
Hans-Hubertus Esser
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