30. September bis 17. Dezember 2023
Temporary Gallery


Eröffnung: Fr, 29 September, 19 Uhr

Zu Beginn ihres Buches „Geflochtenes Süßgras. Die Weisheit der Pflanzen“ (aus dem Amerikanischen übersetzt von Elsbeth Ranke unter Mitarbeit von Wolfram Ströle und Friedrich Pflüger, Aufbau Verlag 2021) erinnert sich Robin Wall Kimmerer an die Geschichte der Himmelsfrau, die von den indigenen Völkern rund um die Großen Seen erzählt wurde. In der Legende wird die Himmelsfrau von einer Gans heruntergetragen und landet auf dem Rücken einer Schildkröte. Wo sie landet, gibt es nur Dunkelheit, Wasser und Wassertiere. Eine Bisamratte gibt ihr Leben, um ihr eine kleine Handvoll Schlamm zu bringen, den sie auf dem Panzer der Schildkröte verteilt. Bewegt von der Großzügigkeit der Tiere beginnt sie, ihren Dank zu tanzen und dadurch beginnt das Land zu erblühen. Anschließend streut sie die mitgebrachten Samen aus, damit die Tiere reichlich zu fressen haben. Während ihr Fall einen Lichtstrahl aus der Himmelswelt erzeugt, können die Pflanzen gedeihen. Die Geschichte der Skywoman ist eine Geschichte der Gegenseitigkeit – vorteilhafter Beziehungen zwischen verschiedenen Arten. Die Himmelsfrau ist nicht Eva, die aus dem Garten Eden verbannt wurde, weil sie eine Frucht probiert hatte, und gezwungen wurde, sich der natürlichen Welt zu unterwerfen, um zu überleben. Sie ist eine uralte Gärtnerin, eine Einwanderin, ein willkommener Gast, der etwas zurückgeben möchte.

Aus zeitgenössischer Sicht hat der gesamte Mythos einen feministischen Unterton und eignet sich daher auch als Einleitung zur Ausstellung von Ines Doujak in der Temporary Gallery in Köln. Die Hauptinspiration für die in der Ausstellung präsentierte Kunstwerkreihe waren Landverteidigerinnen aus aller Welt – Aktivistinnen, die sich für den Schutz von Ökosystemen und das Menschenrecht auf eine sichere und gesunde Umwelt einsetzen. Sie sind diejenigen, die mit der Beschleunigung des Landraubs mit all seinen schrecklichen Auswirkungen konfrontiert sind: der Störung funktionierender Volkswirtschaften, der Monokultur-Landwirtschaft, der Zerstörung des Bodens und der Artenvielfalt sowie dem Klimawandel. Viele dieser VerteidigerInnen, die sich für eine gemeinsame Zukunft verantwortlich fühlen, sind Mitglieder indigener Gemeinschaften im globalen Süden, die versuchen, das Land ihrer Vorfahren zu schützen. Viele sind älter und ersetzen jüngere Menschen, „deren Leben noch vor ihnen liegt“.

Wichtig zu erwähnen ist, dass „Frauen“ hier als eine politische Kategorie definiert werden, die „alle diejenigen umfasst, die unter den materiellen Bedingungen leiden, die historisch den Frauen zugeschrieben wurden, als trans- und nicht-binäre Menschen, intersexuelle und Agender sowie queere Menschen“ (Ines Doujak). Máxima Acuña de Chaupe (geboren 1970) in Peru, Eva Bande (1978) in Indonesien, Bai Bibyaon Ligkayan Bigkay (1928) im Pantaron-Gebirge, Joye Braun (1969–2022) in North Dakota, Berta Cáceres (1973–2016) in Honduras, Maria Chaverra (1950) in Kolumbien, Kateryna Gandzuik (1985–2018) in der Ukraine, Sônía Guajajra (1974) in Brasilien, Francia Márquez (1981) in Kolumbien, Wangari Muta Maathai (1940–2011) in Kenia, Vanessa Nakate (1996) in Kongo und viele andere – der Mut dieser Landverteidigerinnen, die unter extrem schwierigen Bedingungen arbeiten, gibt uns Hoffnung und wirkt der dystopischen Weltanschauung entgegen, die uns ständig aufgezwungen wird. Es zeigt, wie man in hilflosen Zeiten die Angst überwinden und Entscheidungsfreiheit entwickeln kann, um die Zukunft zu verändern.

Anders als man vielleicht erwarten würde, bezieht sich die Ausstellung nicht direkt und dokumentarisch auf die Kämpfe der Aktivistinnen. Sie operiert auf einer anderen Ebene, indem sie in die Sphäre des Symbolischen zurückkehrt. Die politische Inspiration übersetzt sich hier in ein fesselndes, sinnliches Umfeld, das aus unterschiedlichen ästhetischen und kulturellen Traditionen schöpft.

Zentrales Element der Ausstellung ist eine künstlerische Parade im öffentlichen Raum mit dem Titel „Die allerschönsten Frauen sind die Frauen der Revolution“ Ende Oktober dieses Jahres. Deren Ziel ist es, Solidarität mit weiblichen Landverteidigerinnen aus aller Welt auszudrücken. In den Wochen nach der Ausstellungseröffnung wird der Raum eine Reihe von Treffen und Workshops ausrichten, die zu dieser gemeinsamen Aktion führen.

Schließlich wird ein gemeinschaftliches Gremium gebildet, um der Politik der Gleichgültigkeit und Verzweiflung entgegenzuwirken und in scheinbar hoffnungslosen Zeiten die Handlungsfreiheit zurückzugewinnen. Die Aktivistin Jakeline Romero Epiayú, der Künstler Camilo Pachón und die Kuratorin Luiza Proença werden zur Prozession beitragen. Die Veranstaltung ist ein Akt internationalistischer Solidarität, der auf der Erkenntnis basiert, dass der Schutz der Umwelt untrennbar mit politischen Kämpfen gegen (post)koloniale Herrschaft, strukturellen Rassismus und frauenfeindliche Praktiken verbunden ist.

Zur Ausstellung wurde ein Booklet herausgegeben, mit dem kuratorischen Text, einem Gedicht von Lynne Thompson und zwei Buchauszügen: aus Malcom Ferdinands „Decolonial Ecology: Thinking from the Caribbean World“ (2021) und Londa Schiebingers „Plants and Empire: Colonial Bioprospecting in the Atlantic World“ ( 2004). Ein PDF der Broschüre findest du HIER.

Die Ausstellung wurde von Mateusz Okoński und Aneta Rostkowska kuratiert.

Den vollständigen kuratorischen Text findest du HIER.

Ines Doujak wurde 1959 in Klagenfurt geboren und schloss 1975 eine Tischlerlehre ab. Von 1988 bis 1993 studierte sie an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, wo sie ihr Diplom erlangte. Sie war Projektleiterin und Key Researcher der beiden vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF (PEEK) geförderten Forschungsprojekte „Loomshuttles, Warpaths“ (2010–2018) und von „Utopian Pulse – Flares in the Darkroom“ (2013–2014) in der Wiener Secession. Ines Doujak erhielt mehrere Preise, unter anderem den Preis der Stadt Wien für Bildende Kunst (2007), den Würdigungspreis des Kulturpreises des Landes Kärnten (2017) und den Österreichischen Kunstpreis (2022). Ihre Werke waren in Einzelausstellungen in der Wiener Secession (2002), dem Salzburger Kunstverein (2005), Royal College of Art, London (2013), Württembergischer Kunstverein, Stuttgart (2016), Bunkier Sztuki Gallery of Contemporary Art, Kraków (2017), Lentos Kunstmuseum Linz (2018) oder der Kunsthalle Wien (2021) zu sehen und wurden bei Gruppenausstellungen in Institutionen wie dem Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Madrid (2010), dem MACBA, Barcelona (2015), dem Lentos Museum, Linz (2018), Museum of Modern Art, Warsaw (2020), Haus der Kulturen der Welt, Berlin (2021) gezeigt. Darüber hinaus war sie mit ihren Arbeiten bei der documenta 12 in Kassel (2007) und Biennalen wie der Busan Biennale, Korea (2012), der Bienal de São Paulo (2014), Bergen Assembly (2019) und der Liverpool Biennial (2021) vertreten. In ihren Projekten arbeitet Ines Doujak häufig mit John Barker zusammen. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Wien.

Bildnachweis: Ines Doujak, untitled, collage from the series “Geistervölker”, 2016


Temporary Gallery
Zentrum für zeitgenössische Kunst
Mauritiuswall 35, D 50676 Köln
T +49 221 302 344 66
E info@temporarygallery.org
www.temporarygallery.org

Öffnungszeiten:
DoSo 12—19 Uhr
Eintritt frei

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