HELENE STERL ZUM 150. GEBURTSTAG
Sonderausstellung vom 13. Juli bis 10. September 2023
Robert-Sterl-Haus
Der Künstler als Lebensaufgabe
„Innigsten tiefsten Dank mein liebes liebes Lenel für alles, wenn es sein müßte […] Lebe wohl teuerste Seele Dein Robert“
Der Künstler und Kunstprofessor Robert Sterl (1867-1932) schreibt diese Zeilen am 17. August 1920 an seine Frau Helene. Er liegt zu diesem Zeitpunkt im Diakonissenkrankenhaus in Dresden und hat eine schwere Operation vor sich, von der er nicht weiß, ob er sie überleben wird. Seine Worte lassen ahnen, welche Bedeutung sie für ihn hatte. Zu diesem Zeitpunkt sind Robert und Helene Sterl bereits 23 Jahre verheiratet. Seit etwa einem Jahr wohnen sie in ihrem Haus in der Sächsischen Schweiz, das heute als Robert-Sterl-Haus und Museum bekannt ist.
Helene Sterl teilt das Schicksal vieler Künstlergattinnen um 1900, die bis heute im Schatten ihrer Ehemänner stehen. Nicht immer war dies bereits zu Lebzeiten der Fall. Doch in der Geschichtsschreibung steht häufig noch immer allein der Künstler, das kreative Genie, im Zentrum der Betrachtung. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Kunstwerke, welche Überlieferungen heute nicht (mehr) existent wären, wenn es eine Mathilde Beckmann, eine Hedwig Kubin oder eben auch eine Helene Sterl nicht gegeben hätte. Anlässlich ihres 150. Geburtstages möchte die aktuelle Sonderausstellung im Robert-Sterl-Haus diese Frage stärker in den Fokus rücken und die Person Helene Sterl einer breiteren Öffentlichkeit vorstellen. Um einen Einblick in die verschiedenen Facetten Helene Sterls zu bieten, werden private Zeichnungen Robert Sterls von seiner Frau, zwei Zeichnungen von Helene Hedelt selbst, historische Fotografien, Briefe und Objekte aus ihrem Besitz herangezogen.
Helene Sterl ist 1873 als Helene Elisabeth Hedelt, als Tochter eines Buchdruckers in Cölln bei Meißen geboren worden. Über ihre Kindheit und Jugend ist kaum etwas bekannt. 1887 wird sie ebenfalls in Cölln bei Meißen konfirmiert. Das nächste Mal, dass Helene in einem Dokument Erwähnung findet, ist die Anzeige ihrer Verlobung mit Robert Sterl 1896. Inzwischen lebt sie bei ihrem Patenonkel, Bruno Kiehl, und dessen Ehefrau Lina in Dresden. Zu ihrer Geburt noch Pächter des Meißener Ratskellers ist ihr Onkel inzwischen zum Hofküchenmeister des sächsischen Königshauses aufgestiegen. Ihr 1897 ausgestellter Trauschein offenbart, dass ihre Eltern zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr leben und ihr Onkel offensichtlich als Pate ihre Funktion übernommen hat. Ihr späteres sicheres gesellschaftliches Auftreten auch in der gehobenen Gesellschaft, ihre Fähigkeit, Klavier zu spielen und ihre ausgeprägte Vorliebe für Kunst, klassische Musik und Literatur, lassen auf eine weiterführende Ausbildung zumindest an einer höheren Mädchenschule schließen. Gut möglich, dass sie diese bereits in Dresden, bei ihrem Onkel und ihrer Tante lebend, genossen hat. Der soziale Rang ihres Onkels und der damit verbundene gesellschaftliche Umgang seiner Familie spricht für diese Theorie.
Wann und vor allem wo sich Helene Hedelt und Robert Sterl getroffen haben, ist unklar. Die frühesten überlieferten Briefe sind von Beginn 1897, als die beiden bereits verlobt waren. Ein Jahr nach ihrer Verlobung heiraten beide am 26. Mai 1897 in der Dresdner Johanneskirche. Die ersten Jahre ihrer Ehe wohnen sie in der Ostbahnstraße – eher bescheiden und umgeben von zahlreichen anderen Künstler:innen.
Helene und Robert Sterl verbindet ihre Liebe zu Kunst, Natur und klassischen Konzerten. Beides genießen sie gemeinsam aber mindestens genauso häufig unabhängig voneinander. Dasselbe gilt für Reisen und Ausflüge. Insgesamt führt Helene Sterl ein recht eigenständiges Leben. Dabei bleibt ihre Betätigung keinesfalls allein auf Haushalt und Familie beschränkt, wie es zu jener Zeit für eine Frau noch immer vorherrschendes Rollenbild in der Gesellschaft gewesen war. Helene bewegt sich vielmehr in einem gesellschaftlichen Grenzbereich, indem sie mit ihrem Künstlergatten geschäftlich zusammenarbeitet und ihn offiziell in der Öffentlichkeit vertritt. So besprechen sie professionell und auf Augenhöhe Kunstkataloge und Ausstellungen. Sie recherchiert Kritiken über ihn und Künstlerkollegen in diversen Zeitungen, kümmert sich um Ausleih- und Reproduktionsanfragen, führt Preisverhandlungen, beaufsichtigt die Erstellung von Druckgrafiken ihres Mannes, führt zu großen Teilen seine Korrespondenz und vertritt ihn auf Gesellschaften. Robert schätzt das Urteil seiner Frau nicht nur in künstlerischen Angelegenheiten und holt dieses bewusst ein. Den Bau eines kleinen Atelierhauses in Hessen um 1900 und den Umbau des 1919 gekauften Hauses in Naundorf (das heutige Robert-Sterl-Haus) organisiert und überwacht sie häufig allein. Helenes Interesse an Robert Sterls Kunst geht außerdem weit über die von einer damals „idealen Ehefrau“ erwarteten Anteilnahme am Schaffen des Ehemannes hinaus. Sie glaubt an ihn, versteht ihn und bewundert ehrlich seine Werke. Gleichzeitig verschafft sie ihm die Möglichkeit, kreativ und Künstler sein zu können, wie er es bereits in einem Brief im März 1897 an seine Verlobte herbeisehnt: „[…] Ein Künstler wenn er etwas schaffen soll – braucht Ruhe stilles beschauliches Leben Zufriedenheit mit der Welt nicht so wie jetzt wo ich mich um jede Kleinigkeit selbst bekümmern muß und dabei noch die Ruhe finden soll, der Kunst zu leben […]“ Ihre Rolle im Schaffen Robert Sterls darf demzufolge nicht unterschätzt werden.
Als Robert Sterl im Januar 1932 nach langer Krankheit stirbt, trifft sie der Verlust hart. Noch vor seinem Tod hatten sie gemeinsam entschieden, dass ihr Naundorfer Grundstück nach ihrer beider Ableben in eine gemeinnützige Stiftung umgewandelt werden und dem künstlerischen Nachwuchs als Rückzugs- und Arbeitsort in der Natur dienen solle. Seinen Ursprung hatte dieser Wunsch in der engen, väterlichen Beziehung, die Robert Sterl zu vielen seiner Schülerinnen und Schülern pflegte. Einige von diesen hielten noch weit über seinen Tod hinaus Kontakt zu Helene Sterl. Die Ehe der Sterls war kinderlos geblieben – ob bewusst oder gesundheitsbedingt ist unklar. Kinderlosigkeit war in Künstlerehen dieser Zeit jedoch durchaus nicht ungewöhnlich.
Nach dem Tod ihres Mannes führt Helene Sterl in den 18 Jahren, die sie ihn überleben wird, ihre Arbeit als Verwalterin seines künstlerischen Schaffens fort. Sie sorgt dafür, dass das Werk ihres Mannes professionell durchgesehen und gegebenenfalls fachgerecht konserviert wird. Sie kümmert sich um die Vergabe von Reproduktionsrechten, die Ausleihe und den Verkauf von seinen Werken, die Organisation von Bildtransporten und unterstützt und arbeitet Publikationen zu, die der Aufarbeitung der Kunst Robert Sterls dienen. 1943 schreibt sie in einem Brief: „[…] Leider sind meine allgemeinen Kräfte nicht mehr so groß u. die Augen werden auch schwächer. Aber ich hoffe – so Gott will, daß mein Leben noch so lange währt, daß ich Alles geordnet zurücklassen kann […]“ Sie spricht hierbei vom künstlerischen Nachlass ihres Mannes, was sehr gut verdeutlicht, was sie noch immer als ihre Lebensaufgabe ansieht.
In der Zeit des Nationalsozialismus führt Helene Sterl ein zurückgezogenes Leben in Naundorf. Seit dem Tod ihres Mannes lebt sie allein mit ihrem Schäferhund und einer Haushaltshilfe auf dem Grundstück. Robert Sterls Werke werden von den Nationalsozialisten weitestgehend unbehelligt gelassen – dementsprechend auch seine Witwe. Zwei seiner Werke werden 1937 dennoch in der Galerie Neue Meister in Dresden als „entartet“ abgehängt. Die Zerstörungen infolge des Zweiten Weltkrieges können Helene Sterl und ihrem Haus Dank seiner Abgeschiedenheit nichts anhaben. Inzwischen über 70 Jahre alt, erkrankt sie 1944 jedoch an Krebs und muss sich in Dresden einer schweren Operation unterziehen. Letztendlich kann sie die Krankheit überwinden und in ihr Haus in Naundorf zurückkehren.
Nach Kriegsende gelingt es ihr mithilfe ihrer Haushaltshilfe, Helene Landgraf, die Werke ihres Mannes vor dem Übergriff sogenannter Trophäenkommissionen zu schützen. Durch die Geldentwertung 1945 muss Helene Sterl jedoch empfindliche finanzielle Einbußen hinnehmen, die sie zwingen, viele Werke aus dem Nachlass ihres Mannes zu verkaufen, um ihre Existenz zu sichern. Ihre letzten Lebensjahre sind von großem Mangel geprägt. Am 11. November 1950 stirbt Helene Sterl mit 77 Jahren und wird neben ihrem Mann auf dem Naundorfer Grundstück beigesetzt.
Ihre lebenslangen Bemühungen um die Kunst und den Nachlass Robert Sterls werden von Helene Landgraf nicht weniger bestimmt weitergeführt. Als die Gefahr droht, dass der Nachlass der Sterls aus dem Haus entfernt und auf verschiedene Sammlungen verteilt werden soll, gründet sich am 28. Todestag von Helene Sterl, am 11.11.1978, im ehemaligen Wohnhaus von Robert und Helene Sterl ein Freundeskreis, der sich fortan der Bewahrung des Sterl’schen Nachlasses verschrieben hat. 1981 entsteht aus dieser Initiative heraus das Robert-Sterl-Haus als offizielles Museum.
Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung:
Die Sonderausstellung wurde am 12. Juli 2023 im Atelier des Robert-Sterl-Hauses feierlich eröffnet.
Die Finissage wird am 09. September 2023 (terminbedingt einen Tag vor dem offiziellen Ende) um 16:00 Uhr ebenfalls im Robert-Sterl-Haus stattfinden. Zu diesem Anlass wird es ein Gespräch zwischen der Leiterin des Robert-Sterl-Hauses und Kuratorin der aktuellen Ausstellung, Juliane Gatomski, und Dr. Andreas Dehmer, dem Kurator der Ausstellung „Weltflucht und Moderne. Oskar Zwintscher in der Kunst um 1900“ geben, die im letzten Jahr in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden zu sehen gewesen ist. Oskar Zwintscher war nicht nur ein Kollege Robert Sterls an der Dresdner Kunstakademie, sondern auch Helene Sterl und Adele Zwintscher, die Ehefrau von Oskar Zwintscher, kannten sich, wie Briefe bezeugen. Dieser Umstand soll genutzt werden, um das Leben der beiden Frauen und ihre Rolle als Künstlerfrauen zu vergleichen.
Weiterhin wird es am 02. September 2023, 16:30 Uhr, eine musikalische Lesung aus dem reichen Briefwechsel des Ehepaars Sterl im Robert-Sterl-Haus geben.
Am Sonntag, den 20.08.2023, besteht die Möglichkeit um 15:00 Uhr an einer öffentlichen, kostenlosen Führung durch die Ausstellung teilzunehmen.
Informationen zu weiteren Veranstaltungen, Anmeldungen für Gruppen und Führungen:
Museum geöffnet: Donnerstag bis Sonntag (inkl. Feiertage): 9:30 bis 17:00 Uhr
Führungen nach Absprache gerne auch an den Schließtagen.
Telefonische Erreichbarkeit im Museum in der Regel: Mittwoch bis Sonntag, 9:30 Uhr bis 17:00 Uhr
Für Presseanfragen auch außerhalb dieser Zeit über Handy erreichbar: 0178-1364177
Anreise: Mit dem PKW über die B 172 Struppen – Naundorf, Stadt Wehlen mit der S-Bahn (S1) oder über den Elberadweg bis S-Bf. Stadt Wehlen (Parkplatz). Vom S-Bf. Stadt Wehlen etwa 10-15 min entlang der asphaltierten Straße Richtung Naundorf der Beschilderung folgen.
Bildnachweis: Robert Sterl, Helene Sterl, o.J., Kohle, Robert-Sterl-Haus, Struppen/Naundorf, Z 2510, Foto: Robert-Sterl-Haus
Robert-Sterl-Haus Naundorf
Sammelstiftungen des Bezirkes Dresden
Robert-Sterl-Straße 30
01796 Struppen / OT Naundorf (Sächsische Schweiz)
Tel. 035020 – 702 16 │ E-Mail: kontakt@robert-sterl-haus.de
www.robert-sterl-haus.de