…ON PAPER
2. Dezember 2022 – 14. Januar 2023
Thomas Rehbein Galerie
ANYA BELYAT-GIUNTA – DIEDERIK GERLACH – NSCHOTSCHI HASLINGER – VERONIKA HOLCOVÀ – BARBARA LÜDDE – SARAH MINUTILLO – JOHANNES SPEHR
Auf Papier, und darauf Linien und Striche, dann Formen und Gestalten. Gesammelt aus dem Außen, getrieben aus dem Innen, katalysiert durch den Verstand. Etwas Entscheidendes hervorbringend durch die Fantasie, aufs Papier bringend, durch die Hand.
So bauen die Zeichnenden und Malenden Erzählungen. Nicht nur durch das Flächenhafte auftragen von Farben und Tonwerten, sondern eher fokussiert auf Umriss und Schraffur, Oberfläche und Tiefe. So formen und deformieren sie, rahmen, schweifen aus oder reduzieren, erfinden, schwindeln oder konfrontieren. Sie zeigen uns einen individuellen Teil der Wahrheit um uns und in uns.
Die Gruppenausstellung …on paper trägt uns durch tatsächliche, direkte sowie subtile, zeitgenössische Momentaufnahmen von Realitäten, manifestiert auf Papier.
Sie nimmt uns mit in mikroskopische Welten, die manchmal das Innere kartieren und manchmal das Äußere karikieren. Die Motive wurden akribisch verfolgt und dann, gesprenkelt von der Surrealität von Träumen, Wünschen, Wertungen, Fantasien und Erfahrungen, in ihr Umfeld gebogen.
Anya Belyat-Giuntas exzentrische Gesichter und Figuren präsentieren sich in romantischer Couleur. Bunte, teils verschwommene, vergrößerte oder arg entfremdete Defragmentierungen von Organischem und Anorganischem stecken voller Paradoxien. Liebliche Farben verstehen es, auf den ersten Blick, hämische frevelhafte Antlitze zu verschleiern. Bei tieferem Hinschauen erkennt man die Schichten, die das Dunkle und Verborgene darunter verraten, oder sie platzen durch ihr Unpassen aus dem Zusammenhang.
Barbara Lüdde zeichnet junge Menschen, die sich zwischen technologisierter Hochkultur und autonomer Subkultur bewegen, danach leben und lieben, und auch leiden und sehnen. Die subversiven Charaktere erscheinen ehrlich, stark und verzweifelt zugleich und tragen Symbole der Konvention und Anti-Konvention. Identitätsstrebend und wartend gleitet ihr Blick in einen Raum außerhalb ihres eigenen, der den Suchenden neue Hoffnungen perludiert.
Das Konglomerat aus archivisch-festgehaltenen Vergangenheiten, das Diederik Gerlach in seinen Werken schafft, wirkt wie eine Neuerfindung von persönlichen Erinnerungen, die traumhaft im Gedächtnis steckengeblieben sind. Die Bilder sind Parabeln, die von 1950er Jahre Reisemagazinen, alten Werbeversprechen und literarischen Anekdoten erzählen, und diese auf paradox-logische Weise zusammenführen.
Johannes Spehr geht politisch oder konfrontativ auf unsere Welt ein und wirft uns durch seine Zeichnungen und Installationen vor ganz neue, von ihm geschaffene. „Hier habt Ihr einen Vorschlag.“, scheinen sie uns mitteilen zu wollen. Ob wir diesen verstehen oder nicht, ist dabei egal. Die Hauptsache ist, dass der Vorschlag da ist, uns verwirrt, dann fasziniert und uns schlussendlich nicht loslässt.
Sarah Minutillos Werke laden uns ein, die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz mitzufühlen. Sie reproduziert in ihren Zeichnungen Dokumente oder Fotografien, in denen sie mehrdeutige oder ästhetische Bedeutung erkennt, und dadurch ein ambivalentes Potential. Die Bilder gelten als Wörter mit semantischem Wert, die visuell durch das Unaussprechliche hindurchtragen. Die Maltechnik, mal überspitzt, mal zerstreut, unterschreibt die Vergangenheit der Motive.
Die Papierarbeiten von Veronika Holcovà führen ein Eigenleben, als ornamentale Manifestationen ihres Unterbewusstseins. Scheinbar organisch gewachsene Strukturen und Geflechte bringen Kreaturen und Muster hervor, die für sich allein stehen oder kumulativ ineinander gewoben sind. Die farbenfrohen Zeichnungen sind unabhängige Sondierungen ihrer Arbeit, Chiffren ihres tiefsten und privatesten Ichs.
Nschotschi Haslingers Zeichnungen sind keine surrealen Illustrationen voller Symbole. Im Gegenteil. Die Bilder sind Schauplätze, in denen wir Bewohnerinnen und Bewohner dabei beobachten dürfen, wie sie fremde, rituelle, mysteriöse Dinge mit selbstverständlicher Immanenz vollziehen. Es ist, als würde man eine Tür öffnen und in ein Terrarium hineinplatzen, in dem merkwürdige Dinge vonstatten gehen, die dennoch sympathische Anziehungskraft auslösen.
Die Aufzeichnungen auf Papier sind Zeitzeugen, die uns helfen können mit uns selbst umzugehen. Sie unterbreiten uns Vorschläge, wie man unser Momentum erfassen kann. Reale und surreale Konstruktionen sowie Spuren und Eindrücke des Körpers, des Zusammenlebens, von Erotik, Macht, münden in dem Spiel, das all diese Komponenten umschließt. Sie fließen in das Nadelöhr eines freien Umrisses der artikulierten Bereiche und Szenarien.
Zwar lässt sich nicht immer eine Erklärung finden für das, was da ist und das, was das Auge aufnimmt, geschweige denn, was der Verstand damit macht. Doch eines ist sicher: in den Zeichnungen geht es um Details. Um Irrungen und Wirrungen, Sturm und Drang, rund um das menschliche und nicht-menschliche Sein.
Bildnachweis: Barbara Lüdde, The Explorer, 2022, Tusche auf Papier, 38 x 58 cm
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