24. Februar – 28. April 2023
Galerie des Polnischen Instituts Düsseldorf


Vernissage: Donnerstag, den 23.2 2022, 19.00 Uhr

Beschreibung der Ausstellung:
Von Kama Wróbel, Kuratorin, Direktorin der Stiftung OP ENHEIM, Wrocław

Parallele Schwingungen – kann man sich diese als simultane Artikulation zweier Individuen vorstellen? Oder als polyphoner Zusammenklang heterogener Ausdrucksmittel und Kunstkategorien? Ist es überhaupt möglich, Handlungen zu klassifizieren, die sich jeder Klassifizierung entziehen?

Beim ersten Kontakt könnte das Werk von Ewa und Jacek Doroszenko den Eindruck erwecken, das hauptsächliche künstlerische Betätigungsfeld der beiden sei die Neue Medienkunst, in der außerdem der Klang und im weitesten Sinne das Auditive eine große Rolle spielen. Dieser Eindruck wäre sicher nicht falsch, doch täten wir nicht nur den Künstlern Unrecht, wenn wir ihr Wirken auf einen einzigen Kunstbereich reduzierten, sondern beraubten uns als Betrachter vor allem der Möglichkeit, die komplette Bandbreite dieses vielschichtigen Schaffens zu erkunden.
Bei genauerem Hinsehen erkennen wir nämlich rasch, wie sehr das Künstlerpaar aus der umgebenden Wirklichkeit schöpft, aus der Tradition der Avantgarde (auch der musikalischen), der experimentellen Arbeit mit neuen Medien oder wohlbekannten Verfahren der schönen Künste im klassischen Sinne.

Zudem zeigen wenige Künstler ein derart hohes Bewusstsein für die Materie, mit der sie arbeiten, und einen derart großen Respekt für das Medium, das nur scheinbar für den Betrachter unsichtbar bleiben soll. Denn gerade das Medium – seine Charakteristik, seine Eigenschaften und seine Vitalität – ist der Ausgangspunkt oder, vielleicht besser, die Brücke zu den Aktivitäten der Künstler, die mit seiner Hilfe von der technologisierten, aber uns weiterhin nahen Welt von heute erzählen. Ihre Arbeit steht im Zeichen des Willens und des Bedürfnisses, die klaren Grenzen und Kategorien der klassischen Kunst zu überschreiten und das Feld der Wahrnehmung und Erfahrung zu erweitern. Aber zugleich dürfen wir nicht vergessen, dass sich neben dem Medium sich auch die Idee manifestiert – das Konzept, der Gedanke –, die jedes Mal als erste entsteht, die uns leitet und die eingesetzten Instrumente bestimmt, was uns weiter dem Geist der Avantgarde der 1960er und 1970er Jahre annähert.

Es ist sicher nicht falsch, wenn wir Ewa und Jacek Doroszenkos Kunst in der Tradition der Avantgarde und damit in einer Zeit verorten, in der sich die Kunst mehr als je zuvor aus erstarrten Rahmen und Klassifizierungen zu befreien versuchte. Denken wir an die Grenzüberschreitungen von John Cage, der Fluxus-Bewegung mit Nam June Paik und Charlotte Moorman, der Vertreter der Konzeptkunst oder später der Neuen Medienkunst und schließlich der Performance-Kunst. Damals bildete sich ein Freiheitsmodell heraus, das zusammen mit Ungezwungenheit und der Suche nach Neuem zu einem übergeordneten Wert wurde. Im Falle von Ewa und Jacek Doroszenkos Schaffen ist darüber hinaus ein tiefes Bedürfnis nach der Erkundung und Verschiebung der Grenzen des jeweils verwendeten, nicht immer selbstverständlichen Mediums zu erkennen.

Die Künstler scheuen weder das Experiment noch den künstlerischen Synkretismus, die Koexistenz oder totale Kunst, die sich in jedem einzelnen Impuls zeigt, der uns erreicht. Früher hätten wir vom „Gesamtkunstwerk“ gesprochen – einer Idee, die in der heutigen Kunst in stark reduzierter Form allgegenwärtig ist und deren Nachbilder sich im Schaffen der Doroszenkos recht deutlich abzeichnen. Die Künstler arbeiten sehr bewusst mit vielen verschiedenen, sorgsam ausgewählten Instrumenten, die aber – wenngleich sie essenziell wichtig sind – keineswegs die Hauptrolle spielen, sondern unbedingt als gleichrangig mit den übrigen verwendeten Ausdrucksmitteln angesehen werden müssen.
Das geschulte Auge erkennt hier keine separierenden Tendenzen, sondern eine weitgehende Synthese und zur Harmonie ihres Zusammenklangs, was in gewisser Weise ein Paradox ist. Denn diese harmonische Koexistenz heterogener Medien trifft hier auf Dynamik, Determinismus, Dissonanz, Zufall, Sequenzialität und Zerfall. Aus diesem Grund durchlaufen wir in der Ausstellung Parallele Schwingungen wie im gesamten Werk der Künstler zahlreiche Stadien der Initiation, die uns – in einem leicht Ingardenschen Sinne – Schritt für Schritt in die Bedeutungsschichten dieser Kunst einführen.

Es gibt einige deutliche Wegweiser, die das Verständnis der künstlerischen Absicht erleichtern – die Schlüsselbegriffe lauten „digitale Wirklichkeit“, „Partitur“, „Determinismus“, „Sprache“, „Klang“, „Daten“, „Zeichen“, „Relativismus“ oder „Deformation der Botschaft“. Wie schon erwähnt, erkunden Ewa und Jacek Doroszenko in den Fußstapfen der Avantgarde intuitiv verschiedene Winkel der Kunst und stoßen so auf neue, unentdeckte Impulse. Jacek Doroszenko erkundet die Sphäre des Auditiven, wobei er nicht selten Aspekte von Relativismus und Determinismus analysiert. Ewa Doroszenko forscht in der Sphäre des Visuellen, Grafischen, ihr Ausgangspunkt sind der Klang und die zunehmende Digitalisierung der Wirklichkeit, ihre Arbeit basiert wesentlich auf der Übertragung von Musik in grafische Partituren. In abstrakten schwarz-weißen Strukturen versucht sie, den sich in Zeit und Raum bewegenden Klang in einer statischen Form zu fassen.

Auch hier gibt es einen Bezug zur Avantgarde und ihrem relativen Zeitbegriff, dieses Mal allerdings zu Künstlern, die im Balancieren auf der Grenze von visueller Kunst und Musik gleichsam die Klassik für völlig neue Erfahrungen öffneten. Zu denken wäre hier an den Versuch der Integration der Künste, vor allem aber an das Streben nach Erweiterung der performativen Möglichkeiten von Musikinstrumenten im klassischen Sinne – Beispiele hierfür wären die Performances der schon erwähnten Charlotte Moormann oder John Cage, aber auch das Werk von Musikern wie Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono oder im polnischen Kontext Włodzimierz Kotoński, Krzysztof Penderecki, Andrzej Dobrowolski, Bogusław Schaeffer und allen voran Eugeniusz Rudnik mit dem Experimentellen Studio des Polnischen Radios und dem sogenannten Sonorismus. Und wenn auch die Doroszenkos sich nicht eins-zu-eins darauf beziehen, so übertragen sie doch die avantgardistischen Beobachtungen und Grenzerweiterungsversuche in die Wirklichkeit unserer Gegenwart.

Mit Hilfe der ihnen verfügbaren Instrumente untersuchen sie, wie die derzeit dominierende Technologie unser Verhalten beeinflusst oder auch determiniert. Weniger als der soziologische oder kulturbildende Aspekt interessiert sie dabei die physische Dimension, das heißt der gesamte Schaffensprozess vom Sammeln des Materials, seiner Bearbeitung, Aufschichtung, Deformation, Katalogisierung, Archivierung bis hin zur Übertragung. Aus medienarchäologischer Perspektive erinnert das an die Erkundung des technologischen Mediums in den 1970er und 1980er Jahren, als Künstler kreativ mit den Möglichkeiten der seinerzeit neuen Instrumente experimentierten, darunter Röhrenfernseher, elektromagnetische Wellen und deren Krümmung, Lumineszenz, Videokameras oder die Möglichkeit der Direktübertragung, die Nam June Paik in TV Buddha (1974)eindrucksvoll ausnutzte. Das Schaffen der Doroszenkos kennzeichnet eine vergleichbare Neugier und Sensibilität für das zeitgenössische Medium, das sie ähnlich wie die Pioniere auf diesem Gebiet erkunden möchten – nur eben heute im digitalen oder, wie manche Theoretiker sagen, postdigitalen Zeitalter.

Bei all dem ist unmöglich zu übersehen, dass hier der Klang dem Bild begegnet. Mit ihm koexistiert. Richtung und Rhythmus vorgibt. Der Klang markiert den Weg, dem das Bild folgt. Letztlich aber wird der Klang fast zum Beiwerk, er fungiert als Hintergrund und Ergänzung dessen, was wir sehen und visuell erfahren. Die Künstler geben weder das Visuelle auf noch die Ästhetik, die hier ebenfalls einen hohen Rang einnimmt. Der visuell-auditive Kompromiss liefert uns Impulse und Hinweise, die uns Schritt für Schritt zum Verständnis der Botschaft und der künstlerischen Intention hinführen und gleichzeitig die Notwendigkeit veranschaulichen, dem Gehörsinn in der visuell dominierten Gegenwartskultur den angemessenen Rang zu verleihen.

In einem Gespräch erwähnt Jacek Doroszenko die amerikanischstämmige Komponistin und Klangkünstlerin Pauline Oliveros, die den Weg zu einer anderen, umfassenderen Art des Hörens bahnt. Eines Hörens, das durch den Klang das Eintauchen in die umgebende Landschaft ermöglicht, ein intensiveres Empfinden und Verständnis, ein Aufgehen darin. Darüber lohnt es nachzudenken, zumal wenn wir erkennen, wie oberflächlich wir sind, wie wir über die Klangeindrücke hinweggleiten, die Ewa und Jacek Doroszenko in ihren Arbeiten bewusst akzentuieren. Das scheint der Schlüssel zu einem umfassenderen Verstehen und Empfinden ihrer Kunst. Haben Sie jemals versucht, sich einen Klang bildlich vorzustellen?


Biografien

Ewa Doroszenko (geb. 1983) – intermediale Künstlerin, Doktor der plastischen Künste, lebt und arbeitet in Warschau. Absolventin der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń, Stipendiatin des Ministers für Kultur und Nationales Erbe 2019 sowie der Stadt Toruń im Bereich Kultur 2013 und 2011. Mehrfache Preisträgerin internationaler Wettbewerbe, u. a. Preview – Fait Gallery Brno 2016, Debuts 2018 – doc! photo magazine, Debut 2018 – Lithuanian Photographers Association sowie Finalistin u. a. des Noorderlicht International Photo Festival 2021, Kranj Foto Fest 2021, International Festival of Photography FIF BH – Brazil 2020, Athens Digital Arts Festival 2020, GENERATE! Festival for Electronic Arts 2019, Der Greif and the World Photography Organisation open call 2018, FILE Electronic Language International Festival Sao Paulo 2015, Biennale Sztuki Młodych Rybie Oko 2013 sowie des Wettbewerbs der Stiftung Grey House in Krakau 2011. Residenzen u. a. in Re_Act contemporary art laboratory in Portugal, Atelierhaus Salzamt Linz in Österreich, The Island Resignified Lefkada in Griechenland, Petrohradska Kolektiv Prague in Tschechien, Klaipeda Culture Communication Center in Litauen, AAVC Hangar Barcelona in Spanien, Kunstnarhuset Messen Ålvik in Norwegen. Ihre Arbeiten zeigte sie u. a. im Muzeum Współczesne in Wrocław, in der Kunstgalerie Wozownia in Toruń, im Centrum Sztuki Współczesnej in Toruń, in der Fait Gallery in Brno, der Galerie Propaganda in Warschau und in der Exgirlfriend Gallery in Berlin.
https://ewa-doroszenko.com

Jacek Doroszenko (geb. 1979) – audiovisueller Künstler, Absolvent der Akademie der Schönen Künste in Krakau. Stipendiat des Ministers für Kultur und Nationales Erbe 2020, der Stadt Toruń im Bereich Kultur 2011 sowie Residenzstipendiat u. a. in Kunstnarhuset Messen Ålvik in Norwegen, Atelierhaus Salzamt Linz in Österreich, Petrohradska Kolektiv Prague in Tschechien, Klaipeda Culture Communication Center in Litauen, AAVC Hangar Barcelona in Spanien. Teilnehmer u. a. an Mediations Biennale in Warschau, The Wrong New Digital Art Biennale in Rio de Janeiro, CoCArt Music Festival in Toruń, Transmission Arts Festival in Athen, GENERATE! Festival for Electronic Arts in Tübingen, Open Source Art Festival in Sopot, ISEA International Symposium on Electronic Art in Vancouver, Athens Digital Arts Festival, SURVIVAL in Wrocław, Future Places Festival in Porto, FILE Electronic Language International Festival in Sao Paulo, European Media Art Festival in Osnabrück, R>>EJECT Radicals Festival in Rotterdam. Seine Arbeiten zeigte er u. a. in der Galerie Propaganda in Warschau, in der Galerie Jedna Dva Tři in Prag, in der Stiftung Rodzina Staraków in Warschau, in der Exgirlfriend Gallery in Berlinie, im Muzeum Współczesne in Wrocław und in der Fait Gallery w Brnie. Das visuelle Schaffen des Künstlers reflektiert sich auf dem Feld der Musik und der Klangkunst. Seine musikalischen Kompositionen erschienen in Form von international vertriebenen Alben, u. a. Infinite Values, Time Released Sound in den USA; Wide Grey, Eilean Records in Frankreich; Soundreaming i Bodyfulness, Audiobulb Records in Großbritannien.
https://doroszenko.com

Bildnachweis: Jacek Doroszenko – Metascore of new gestures – detal 2020


Galerie des Polnischen Instituts Düsseldorf
Citadellstraße 7, 40213 Düsseldorf
Öffnungszeiten: Di – Fr  11 – 17 Uhr

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