20. Oktober bis 24. November 2024
Kunstverein KunstHaus Potsdam


Jehoshua Rozenman untersucht in seiner künstlerischen Praxis das intrinsische Wesen von Materialien und spielt meisterhaft mit visueller Spannung. Insbesondere durch seine Arbeiten mit Glas regt er die Betrachter geschickt zum Nachdenken über Widersprüche an.

Glas steht traditionell für Zerbrechlichkeit und Transparenz, aber Rozenman schaffte es, diese Transparenz in Arbeiten zu unterlaufen. Glas wird opak, fest, schwer und repräsentiert Kraft und Wiedergeburt.
Rozenman definiert die Eigenschaften des Werkstoffs neu, indem er es zerbricht und neu zusammensetzt und ihm so ein neues Narrativ und neue symbolische Bedeutung verleiht. In manchen seiner Arbeiten lässt er vorsätzlich Spuren von Gipsstaub auf den Glasoberflächen, die mit der Zeit verschwinden. Dieser natürliche Vorgang verbindet den Gedanken einer Fortdauer durch die Zeit mit ihrer unvermeidlichen Erosion und verleiht dem Werk somit eine unumkehrliche zeitliche Dimension und historisches Gewicht.

Rozenmans Arbeiten loten die Grenzen zwischen Figuration und Abstraktion aus. Sie bewahren eine visuelle Verbindung zur realen Welt, bewegen sich zugleich aber langsam vom Figurativen zur Abstraktion. Gekonnt begleitet der Künstler die Betrachter vom Bekannten zum Unbekannten. Was auf den ersten Blick wie die Überreste von Industriebauten, urbane Ruinen oder eingefallene Kirchenmauern anmutet, wird durch das Wieder-Zusammensetzen und die Dekonstruktion von Strukturen vage und verschwommen. So schafft er ein Déja-vu-Erlebnis der letztlich nicht genau bestimmbaren Abstraktion und zwingt die Betrachter damit, die Werkbedeutung fortwährend neu zu definieren. Rozenmans Arbeiten lassen sich nicht an traditionellen ästhetischen Maßstäben messen, und dennoch ermöglichen sie durch ihre Abstraktion eine so echte wie faszinierende ästhetische Erfahrung – über die bildliche Schönheit der Arbeiten hinaus bis in den Erfahrungsbereich von Erinnerung, Zeit und Dasein.

Rozenman arbeitet mit dem traditionellen Wachsausschmelzverfahren, also einer Technik, die typischerweise beim Metallgießen eingesetzt wird. Mit dieser erschafft er meisterhaft seine Glas-Skulpturen. Das Wachsausschmelzverfahren ist von Natur aus komplex, zeitintensiv und unberechenbar. Rozenman bringt damit auf geniale Weise Spontaneität und Intuition in seinen kreativen Prozess hinein. Bei einigen Arbeiten lassen sich Farbsprenkel und fleckige Muster erkennen, die bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen nur graduell sichtbar werden, während bei anderem Licht natürliche Linien und Formen vorherrschen, die sich teils dezent, teils markant mit Spuren städtischen Lebens verbinden. Dieses Verfahren unterstreicht nicht nur die physikalischen Eigenschaften von Glas, es lädt den Betrachter auch dazu ein, bei jeder Veränderung von Licht und Perspektive, versteckte Details zu entdecken und ermöglicht ein vielschichtiges visuelles Erlebnis.

In den letzten Jahren hat Rozenman sich zunehmend mit dem Potenzial von Künstlicher Intelligenz (KI) als kreativem Werkzeug beschäftigt und eine Verbindung mit dem traditionellen Medium Glas hergestellt. KI dient bei seinen Arbeiten nicht nur als Hilfsmittel, sondern als neues künstlerisches Verfahren, das seinen experimentellen Ansatz bei der Arbeit mit Glas wiederspiegelt. Rozenman widmet sich hierbei der Frage nach kreativer Handlungsmacht: Steuert der Künstler die KI, oder wird die KI die treibende Kraft im künstlerischen Prozess? Die starke Auseinandersetzung mit KI bedingt ein kontinuierliches Experimentieren und entsprechende Risikobereitschaft. Der Künstler ergründet, wie Fehler und Vagheit neue künstlerische Formen hervorbringen. Sein wagemutiges Vordringen ins Unbekannte steht in einer Linie mit seinen frühen Glas-Experimenten, bei denen er den traditionellen kreativen Rahmen aufbricht, Widersprüche und Konflikte schafft und schließlich eine unverwechselbare visuelle Sprache findet.

Rozenman ist mehr als ein Künstler: Er ist bei diesem komplexen Prozess der „Initiator“. Durch aktives Eingreifen und durch Interaktion mit dem Medium steuert er die kreative Entwicklung und bringt nie dagewesene künstlerische Formen hervor. Der generative Prozess zeigt nicht nur seinen gekonnten Umgang mit Material und Technik, er offenbart die innige Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Kunst und Technologie zueinander. Rozenmans Arbeiten zeigen, wie ein Künstler kontinuierlich sowohl sich selbst als auch die Grenzen seines Mediums kritisch hinterfragt, seinem Werk einen ganz eigenen ästhetischen Wert und große gedankliche Tiefe verleiht, und wie eine anregenden visuelle Erfahrung uns zum Nachdenken anregt.

Text: Selena Yang, September 2024
Übersetzung: Birgit Erdmann

In Kooperation mit Oooit Art, Utrecht
www.oooitart.com

Veranstaltung
Sonntag, 24. November, 16 Uhr
Finissage

Bildnachweis: Jehoshua Rozenman, The Shell, 2020, 57x30x25cm, Glass, kiln, casting


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