NICHOLAS WARBURG – TITELBILDER
27. Oktober bis 2. Dezember 2023
Galerie Anton Janizewski, Berlin
…von wo wir seine Werke lesen: KURT COBAIN WAS MURDERED steht dort direkt am
Eingang. KÖNNEN WIR JETZT ENDLICH WIEDER HOLLYWOODSTARS UMSBRINGEN UND
DEATH TO PIGS MIT BLUT AN DIE WAND SCHMIEREN? Die Worte leuchten auf der Arbeit in
schnellen Versalien. Schwarze Flächen, pastoser Strich, weiße Schrift, noch feuchtes Öl.
Dazu: Leder, Plastik, Spiegel. Monochromie beherrscht den Raum und unterstreicht so die
brüllende Übersteuerung der Motive.
TITELBILDER heißt die aktuelle Ausstellung Nicholas Warburgs neuer Arbeiten bei Anton
Janizewski und zeigt, größtenteils, – Titelbilder.
Mit dem Pinsel auf die Leinwand geschrieben füllen Sätze das Format. Ist der Titel die
Abbildung oder das Abgebildete der Titel? Werden die Worte lediglich Platzhalter, Leerstelle,
Blindtext? Wird die Selbstbeschreibung zum Motiv? Zeigen die Bilder sich selbst? Sind sie
gleichermaßen Inhalt und Beschreibung des Werks? Ist dies die Essenz der Selbstreferenz?
War es in der Vergangenheit meist der Inhalt, ist es nun zusätzlich die Form, die Warburgs
gewohnt starken konzeptionellen Schwerpunkt legt. Zwar sind die bekannten Motive
Warburgs – die alte Bundesrepublik, German Angst, Amerika, das männliche Genie, und
immer wieder der Faschismus – klar erkennbar, doch werden sie in TITELBILDERN ergänzt.
Waren es bisher die klebrig-staubigen Schatten der westdeutschen Babyboomer ist
Warburgs neue Werkreihe nun im Referenzrahmen der internationalen 90er Jahre-Millenials
angekommen: Die warme Jacke der Rebellion im Sonderangebot, jetzt auch in deiner
Fußgängerzone. Die hier evozierten No Future!-Gefühle sind schon lange eingespeiste
Waren der pop- und subkulturellen Aufmerksamkeitsökonomie.
Wo sind eigentlich Marina und Ulay, deren Lederkutten auf weißen Gartenstühlen am
Durchgang hängen? Ach stimmt, er ist tot, doch vielleicht steht sie gerade in der Londoner
Royal Academy of Arts und muss zusehen, wie die Reinszenierung ihrer Imponderabilia-
Performance verfehlt: wie alle durch die neue, extra installierte Seitentür gehen, um nicht ihre
inneren Grenzen an den nackten Körpern entlang zu überschreiten. Die Kunst der
Provokation war noch nie so leicht. Die Kunst der Provokation war noch nie so schwer. Wir
gehen durch sie hindurch.
ARM THE BROKEN HEARTED und COMING OF RAGE schreien zwei der fünf Jacken, die
ebenfalls wie zufällig liegen gelassen über im Kreis angeordneten Monoblocks hängen,
diesem Kakerlaken-Pendant des Stuhls, unkaputtbar, in der Nähe jedweder menschlichen
Zivilisation auffindbar. Auch hier sind die Worte gepinselt, wandern von der Leinwand aufs
Leder, auf das Kleidung-gewordene Symbol des Alpha-Mannes. Die Mode wird Bild, der Titel
das Statement. Die Anwesenheit des Abwesenden wird dick und weiß unterstrichen: ART
SCHOOL SHOOTER, HEAVY META, GOD HATES FACTS. Ist das Punk? Ironie? Kritik? Und
was wurde in diesem Zirkel besprochen?
WENN DER FASCHISMUS WIEDERKEHRT WIRD ER NICHT SAGEN ICH BIN DER
FASCHISMUS NEIN ER WIRD SAGEN WENN DER FASCHISMUS WIEDERKEHRT WIRD ER…
Warburgs Referenzen sind reichhaltig. Von Fake News bis Nietzsche machen sie auch vor
Silone nicht halt, erheben ihn in einen genialen Ouroboros, so simpel und wahr, man sollte
ihn mit Recht an alle Wände schreiben.In Warburgs Arbeiten wohnt stets der Witz. In
Warburgs Witz wohnt stets das Unbehagen. Das Unbehagen ist unendlich, es wohnt im
Internet, im Pop, im Film, in der Universität und in Deutschland sowieso. Alles ist schwer zu
ertragen, die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft, dieser Dreiklang der
Vergänglichkeit, der schon beim Lesen dieser Wörter die repetitive Langeweile der
menschlichen Existenz heraufbeschwört. IM LEBENDEN DAS TOTE ZU SEHEN AUS
GEWOHNHEIT. Sind Warburgs Arbeiten Katharsis oder Geißelung? Vielleicht sind sie ein
neues Experiment des notorischen enfant terrible, des Provokateurs, des Städel-Bad-Boys:
Wie bringt man die Zeit zum Klingen? Wo erfährt sie Resonanz? Und wie viel kulturelle Er/
schöpfung erträgt der Mensch?
DARUM BENEIDE ICH JEDEN MALER, DASS ES KEINE SCHWERKRAFT AUF DEM BILD GIBT
sagte der Spiegel. Und reflektierte uns ganz nebenbei unsere eigene Kaputtheit.
Bildnachweis: Nicholas Warburg. 2023. Galerie Anton Janiszewsk.
Galerie Anton Janizewski
Goethestraße 69 I 10625 Berlin
www.antonjanizewski.com