07. Mai – 13. August 2023
Kunsthalle und Kunstmuseum Bremerhaven


Eröffnung: 06. Mai 2023, 18 Uhr
Grußwort: Peter Klett, Vorstandsvorsitzender
Einführung:
Stefanie Kleefeld, Direktorin Kunsthalle und Kunstmuseum Bremerhaven

Die Zeichnungen Till Megerles könnten heterogener nicht sein. Mal Strich für Strich bis ins Detail ausgearbeitet; mal skizzenhaft flüchtig, auf wenige Linien beschränkt; mal nahezu abstrakt, basierend auf einzelnen Farbflächen, aus denen sich punktuell die Motive herausschälen. Einige der Zeichnungen weisen lediglich das Grafit des verwendeten Bleistiftes auf; andere sind rein in Brauntönen gehalten; manche dagegen ausgesprochen farbig, wobei hier die Farbe eine solch starke Bedeutung zu haben scheint, dass sie quasi über die Zeichnungen hinausschwappt, hinein in ähnliche Töne aufweisende, extra für die Bilder angefertigte Rahmen. Sie ist also äußerst facettenreich, die Bandbreite, derer sich Megerle für seine Zeichnungen bedient. Es geht ihm jedoch nicht darum, das Feld des Zeichnens in seiner Gänze auszuloten. Dafür wiederholen sich die Stile und Techniken der Zeichnungen dann doch zu oft und beschränken sich letztlich auf drei, vier; wenn auch völlig unterschiedliche. Eher verdankt sich die zeichnerische Vielfalt einer seiner Praxis innewohnenden, spezifischen künstlerischen Logik oder Vorgehensweise. Nämlich der Frage: Was kann wie ausgedrückt, dargestellt, gezeigt werden? Bestimmte Motive, Ästhetiken und Stimmungen entstehen eben nur so und nicht anders. Und folglich braucht es mal einen sehr langwierigen, verdichtenden, in Schichtungen modellierenden und mal einen sehr schnellen, fragmentarischen Prozess.
 
Auch wenn Megerles Zeichnungen unterschiedlich gemacht sind, so tauchen in ihnen doch immer Figuren auf. In sich verschlungene, verdrehte, eigentümlich proportionierte oder verzerrte Wesen. Seltsam entrückt. Irgendwie fremd. Als kämen sie aus anderen Welten und Zeiten. Fast schon karikaturhaft mit ihren äußerst spezifischen Gesichtsausdrücken und Gesten. Und obwohl meist mehrere Figuren auf den Bildern zu sehen sind, scheinen sie jeweils in sich selbst verstrickt und aufs Äußerste mit sich beschäftigt. Nichtsdestotrotz – denn davon erzählen die mitunter verhakten und verwobenen Körper wie auch die Gebärden der Gestalten sowie ihre Positionierungen zueinander – scheinen die Figuren irgendetwas miteinander zu machen, irgendwie aufeinander bezogen. Wiederum aber auch nicht, denn ihre Blicke gehen meist aneinander vorbei. Entweder starren sie ins Leere oder schauen direkt aus dem Bild auf die Betrachter*innen. Entsprechend dieser Widersprüche bleiben die Szenerien eigenartig in der Schwebe; aufgeladen von einer Spannung, die jederzeit kippen könnte. Es ist nicht klar, ob die Figuren nun aus sich heraus so verdreht, verzerrt und verschoben sind oder als Reaktion aufeinander. Und es ist auch nicht auszumachen, ob das Dargestellte bedrohlich, gewaltvoll und dystopisch ist oder einfach nur komisch, skurril und bizarr. Vermutlich ist es sowohl das eine als auch das andere, ähnlich einem Vexierbild, sodass die Zeichnungen von der Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen und Verhältnisse zu erzählen scheinen.
 
Dieses Nicht-Fassbare, das den Welten innewohnt, die Megerle mit seinen Bildern heraufbeschwört, spiegelt sich auch in ihrem seltsamen Herausgefallen-Sein aus Zeit und Kontext. So sind sie weder im Heute noch im Vergangenen verankert, und auch nicht in irgendwelchen fantastischen, utopischen oder surrealen Sphären. Dies verdankt sich wohl der Fülle unterschiedlicher Bezüge, derer sich Megerle für seine Zeichnungen bedient. Wobei es sowohl Anleihen an konkrete Motive als auch an Ästhetiken und Stimmungen sind, die er miteinander verwebt. Manche seiner Zeichnungen erinnern beispielsweise an die psychedelischen Bildwelten Grünewalds oder die Gemälde Bruegels und könnten fast Ausschnitte aus ihnen sein bzw. Megerles Figuren ihnen entsprungen. Zugleich sind die Zeichnungen aber auch unverkennbar in der Gegenwart verortet. Denn mit modernistischen Häusern, Nachkriegsarchitektur und Windrädern weisen sie eine Umgebung auf, die zweifellos eine heutige ist. Und auch ihr Bildpersonal ist mit Hoodies tragenden Figuren eines, das mit seiner Kleidung eindeutig einen gegenwärtigen Geschmack bezeugt. So sind es etwa mittelalterlich anmutende Figuren mit Daunenjacken in der peripheren Tristesse eines zeitgenössischen Nirgendwo, die einem in Megerles Zeichnungen begegnen. Andernorts skizzenhaft flüchtige Wesen; dann aber wiederum auch Figuren, die ganz real scheinen, als wären es die eigenen Eltern oder Großeltern, mit einer Violine in der Hand mittelständische Vorstadtidylle symbolisierend. In Megerles zeichnerischem Kosmos treffen also auch Welten aufeinander, innere und äußere Realitäten, die weit voneinander entfernt zu sein scheinen, sich jedoch gegenseitig durchdringen.
 
Das alles bewirkt eine Atmosphäre von Widersprüchen, Spannungen und Reibungen, die sich – fast schon gegenläufig zu den erzeugten Intensitäten – auf sehr kleinen Formaten ereignet. Vielleicht braucht es gerade diese Konzentration, diese Komprimierung und Intimität, dieses Arbeiten in die Tiefe, um die Dichte zu erzeugen, die den Zeichnungen Megerles zu eigen ist.

Veranstaltungen

Sonntag, 7. Mai 2023, 14 Uhr
Artist Talk
mit Till Megerle und Stefanie Kleefeld

Donnerstag, 22. Juni 2023, 18 Uhr
„Kunst und Cocktail“
Ausstellungsrundgang mit Julia Bokermann

Samstag, 24. Juni 2023, 14 Uhr
„Kinderclub“ mit Ludmilla Euler

Freitag, 7. Juli 2023, 19 Uhr
GUIDING LIGHT Konzert mit Artjom Astrov, Kisling & Till Megerle

Bildnachweis: Werk, (c) TILL MEGERLE ,- YES


KUNSTHALLE KUNSTMUSEUM KUNSTVEREIN BREMERHAVEN
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