27. August – 11. September 2022
Ausstellung in der Kirche Sankt Gertrud, Köln


Die katholische Kirche Sankt Gertrud im Kölner Norden ist ein besonderer Ort der Kunst. Künstlerinnen und Künstler reagieren dort auf die besondere Architektur Gottfried Böhms, erzeugen neue Raumerfahrungen und schaffen aktuell erweiterte Wahrnehmungsfelder für Transzendenz und Spiritualität. Ab dem 26. August widmet sich die in Berlin lebende Künstlerin Madeleine Boschan mit neuen Skulpturen diesem geistigen Raum als körperlichem und geistigem Erfahrungsort. Ihre Skulpturen sind stets ortsspezifisch und stellen sich in Sankt Gertrud existenziellen Fragestellungen.

Ausgangspunkt der bildhauerischen Arbeit von Madeleine Boschan ist die Annahme, dass jede Art von Raumerfahrung eine Körperliche ist: ›Raum‹ als solcher ist leer und unfassbar, erst wenn ein Körper erscheint und sich an einem Ort manifestiert, wird die ›Leere‹ als umgebender Raum erfahrbar und nimmt Kontur, Form, Gestalt an. Die Künstlerin beschäftigen Fragen nach dem Entstehen solcher Orte.

Wo und wie kommen wir zusammen? Fragen, die sich heutzutage mehr denn je auch für die Zukunft stellen. Wie werden wir uns orientieren können bei aller Grenzüberschreitung in unbekanntes Gebiet und auf zu neuen Räume? Welche Möglichkeiten ergeben sich dabei  für menschlichen Aufenthalt?

An einem weitläufigen Ort der Vorstellungskraft verwandeln sich stehende und liegende Elemente beständig durch unseren Gang. Aktives Erfahren, Erinnern und ein Sich-Selbst-Versichern der eigenen Existenz fließen mit ein. Unerwartet verbinden sich dabei Körper, Ort und Zeit in gegenseitiger Durchdringung, bis hin zu einem Sich-wieder-voneinander-Lösen.

Die Künstlerin Madeleine Boschan errichtet ein topographisches Feld, auf das sich die Betrachter wagen können. Was können sie dabei sehen, erinnern und erspüren? Ist es eine Arena? Ein Spielfeld? Architektonische Relikte eines vergangenen Zusammenhangs? Fragmente einer Erinnerung? Eine Art Korrespondenz?

Die Skulpturen Madeleine Boschans laden ein, den umliegenden Raum als Ort zu entdecken und selbst zu erschließen. Es sind Orte der Begegnung und des Austausches, die unerwartete Perspektivwechsel ermöglichen und die eigene Position klarer hervortreten und erlebbar werden lassen. Eine andere Idee von Verknüpfungsmöglichkeiten: Wie allein und wie zusammenleben? Ein Vorschlag für eine neue Form und zu agieren, miteinander umzugehen, sich zueinander zu verhalten. Das eine nicht ohne das andere, die eine, der eine nicht ohne alle anderen?

Mit ihren Skulpturen für Sankt Gertrud verwandelt sie das verwinkelte Kircheninnere zu einem erweiterten Ort von physischer Erfahrung. In Anlehnung an die Architektur reagiert sie ebenfalls mit Winkelformen und schafft so ein spannungsreiches Wechselspiel von Innen- und Außenflächen, die wiederum neue innere und äußere Räume generieren. So bespielt sie die »Plaza« – zentral und inmitten der weitläufigen Grundfläche der Kirche – und installiert insgesamt sieben liegende und stehende Körper: Filigrane Aluminiumwinkel, die dennoch mit bis zu drei Metern überlebensgroß in den Raum treten. Ihre farbliche Behandlung, im klaren Wechsel von Schwarz und Weiß, unterstreicht die maßgeblichen Bezüge von Innen und Außen oder Licht und Dunkel. Ihre gedanklich mögliche Mischung zu Grau, weist zudem auf Böhms rahmengebende, alles ummantelnde Betonarchitektur.

Boschans installierte Raum- und Formkörper ermöglichen ein intuitives Erfassen existenzieller Wesensarten und Stimmungen. Unmittelbar stellen sie Fragen an die Betrachter:innen. Grundlegend dafür ist die Aneignung von Raum durch den eigenen Körper, im wechselseitigen Verhältnis von Innehalten und Bewegung, Ruhe und Dynamik. Erfahrbar werden Monumentalität und Ausdehnung, das Offene und Geschlossene, das Nahe und das Ferne. 

Themen, die von ihrer farbintensiven Videoarbeit aufgenommen und weitergeführt werden. Diese wird auf eine der Hauptwände projiziert und mutet wie ein weiteres Fenster der Kirche an. Lautlos schieben sich flirrende Blöcke durch einen weißen Lichtausschnitt. Tänzerisch wandeln sich in fließender Bewegung Flächen und Räume zu Linien. In vibrierenden, die Proportionen verschiebenden Vor- und Rückwärtsbewegungen entstehen kommunikative Prozesse von Verschmelzung und Loslösung.

In Film wie in skulpturalem Raum verbinden sich in gegenseitiger Durchdringung Körper, Orte und Zeit. Außen – ein Innen. Innen – ein Außen. Wir alle sind den gleichen gewaltigen Veränderungen ausgesetzt. Wird Madeleine Boschan uns durch dieses topographische Feld führen oder wagen wir uns allein hinein?

Wird am Ende etwas fallen und auf dem steinigen Grund zu Boden schallen? Oder wird sich ein Fenster auftun und neues Licht aufscheinen?

Bildnachweis: Madeleine Boschan, Your eyes have their silence


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