30. April – 03. Juli 2022

Kunstverein Konstanz


Nikola Irmers nordische Landschaften sind rau und wild. Sie schildern die Kargheit der Natur, die unwirtlichen Böden und die den harschen Bedingungen widerständige Vegetation. Die Stimmungen dieser Bilder sind dramatisch. Dunkle Regenwolken ziehen übers Land, türmen sich auf und umfangen die Gipfel der Berge. Bisweilen sieht man, wie sie sich in heftigen Güssen entladen. Vom Meer heran ziehen Nebel und Dunst in die Täler, ihre Feuchtigkeit verklärt die Sicht, ein blaugrauer Schimmer legt sich über die Landschaft. Aber dann fällt plötzlich auch wieder Sonnenlicht durch die Wolken und lässt, wo es auf die Erde trifft, die Farben leuchten.

Oder so scheint es. Denn natürlich sehen wir hier keine Landschaften, wie erkennen sie nur. Wir sehen die neben- und übereinander gesetzten Farben und Lasuren, die Nikola Irmer in wochenlanger Arbeit auf ihrer Palette mischt und dann auf die Leinwand oder die Kartons aufträgt; welche dazwischen immer wieder antrocknen müssen, damit die Farben nicht verschmieren, oder in Folie eingepackt noch nicht trocknen dürfen, damit sie malbar bleiben. Bis das Bild irgendwann zur Landschaft wird.

Malerisches Können zeigt sich, wenn die Landschaft glaubhaft wird; wenn die Farben der Objekte sich mit dem Abstand in Tonalität und Intensität so verändern, wie es unsere Seherfahrungen erwarten lassen; oder wenn die Farbe des Lichts am Himmel mit den Farben des Felsens und des Bewuchses harmonieren. Jede Veränderung des Lichts durch Wolken oder Dämmerung hat weitreichende Auswirkungen und verändert die Palette des Bildes. Wahre Meisterschaft sieht man dann, wenn man das Gefühl hat, durch den Dunst die dahinterliegende Landschaft zu sehen, einen Regenschauer in der Ferne zu spüren oder das Spiel des Lichts auf einer Fläche zu beobachten.

Landschaftsmalerei steht nicht unbedingt im besten Ruf. Sie gilt gemeinhin als dekorativ und wenig aussagekräftig. Weshalb besinnt sich nun eine erfahrene Künstlerin auf dieses Genre? Ihre Bilder sind ja keine beiläufigen Urlaubserinnerungen. Vielleicht hilft es, einige andere Werke der Künstlerin zu betrachten.

In der Ausstellung des Kunstvereins zeigt Nikola Irmer auch noch Teile der Serie ‚Nutshells‘. Diese Bilder zeigen Orte des Verbrechens, oder besser, sie zeigen historische Dioramen von Orten an denen Verbrechen stattgefunden haben. Diese wurden in den 1940er Jahren von Frances Glessner Lee hergestellt, die das Studienfach Forensik an der Universität Harvard begründete und diese Nutshell Studies of Unexplained Death nutzte, um ihren Studierenden einen umfassenden Eindruck von unterschiedlichen Tatorten zu vermitteln. Die Sammlung dieser Modelle befindet sich heute im Medical Examiner’s Office in Baltimore, wo sie nach wie vor in der Ausbildung von Polizisten eine wichtige Rolle spielen.

Die Bilder davon sind also keine simplen Interieurs, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Ein Text der Literaturwissenschaftlerin Susan Stewart über Miniaturen, erlaubt eine erweiterte Lesweise. Denn zum einen sieht Stewart Modelle als unbelebte Objekte, die an Spielzeug erinnern, zum anderen versteht sie diese als „Bühne, auf die wir mittels Assoziation oder Intertextualität eine bewusst gerichtete Serie von Handlungen projizieren.“[1] Diese Möglichkeit des imaginierten Geschehens an diesen Orten belebt auch die Bilder von Nikola Irmer. Der von ihr geschilderte historische Ort ist der in den Modellen dargestellte Tatort, an dem die Betrachter*innen eine blutrünstige Tat erwarten, doch zugleich sind die gemalten Modelle auch Gegenstände der Wissensvermittlung, museale Objekte – wie sie schon öfter in Nikola Irmers Oeuvre vorkamen.

Man könnte ja auch die Landschaftsbilder von Nikola Irmer als Miniaturen sehen und sie als Handlungsorte mit einer gewissen „Theatralik“ lesen. Ihre Bilder aus Norwegen und aus dem schottischen Hochland zeigen Landschaften, sie zeigen was wir als natürlich empfinden. Doch sind diese Landschaften durch den Einfluss des Menschen so geworden. Immer wieder sind zerfallene Strukturen zu sehen, Reste von bäuerlichen Bauten, die seit Jahrhunderten dem Verfall preisgegeben sind. Das schottische Hochland wurde im frühen 19. Jahrhundert grundlegend verändert. In den Highland Clearances wurden die lokalen Kleinbauern von ihrem Land vertrieben und mussten sich entweder als Arbeiter in den Zentren der industriellen Revolution verdingen oder auswandern. Ihr Land wurde für die profitablere Schafzucht genutzt oder diente schlicht als Jagdrevier der englischen Oberklasse. Die Wunden dieser Vertreibung sind noch heute in den Landschaften sichtbar.

Nikola Irmers bildet diese Landschaften ab. Gleichzeitig werden sie im Medium der Malerei zu einem Handlungsraum, einem Dispositiv, das sich durch den Beitrag der Betrachtenden ergänzt.

Textnachweis: Axel Lapp
Bildnachweis: Nikola Imer. Sligachan,90 x125 cm, Öl Leinen, 2020


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