HEIMO ZOBERNIG
06. November – 18. Dezember 2021
Galerie Christine Mayer, München
Graw: Dir selbst ging es aber doch nie primär um sinnliche Erfahrung?
Zobernig: Unbedingt und in erster Linie. Das ist mein Ausgangspunkt.
Wenn die Kunst spricht. Ein Interview von Isabelle Graw mit Heimo Zobernig, in: Kunst und Text, Leipzig 1998, S. 57f.
Wenn Berthold Reiß die Publikation „Kunst und Text“(1999) im Kunstverein München erworben habe, heute aufschlägt, dann treten die Kunst und die Texte weit auseinander: Was er sieht, kommt ihm jetzt noch stärker als vor 20 Jahren entgegen. Was er list, kommt ihm dagegen vor wie ein Winken zum Abschied. Annelie Pohlen spricht von einer „Ausstellung als Kunst“, in der am Ende nichts Materielles stehen bleibt, sondern nur Geistiges, „welches sich dem materiell Gestalteten ob seiner im Rezipienten wirksamen Projektionen verdankt.“ Jan Winkelmann spricht von „intuitiven Formalismen“, die sich außerhalb der Intuition nicht als Abstraktionen darstellen, sondern als Reduktionen. Dirk Snauwaert fasst „Universalismus, Globalismus, eine Bibliografie“ ins Auge und interpretiert sie mit den ironischen und doch nicht lustigen Worten, „dass gerade die Bürokratie das Ende aller revolutionären Bewegungen dieses Jahrhunderts war.“ Schließlich können der Künstler selbst und Isabelle Graw schon miteinander reden, aber sie „können“ das nur, wirklich oder aktuell reden sie aneinander vorbei. Einmal sagt Zobernig: „Der Bedarf ist damals wie heute der gleiche. Nur Fomulierungen werden neu aktualisiert.“ Das ist doch etwas ganz anderes als die Vorgaben und die Wertungen, die für Graw aktuell oder heute bestehen! Dass sich Produktion und Rezeption, Behauptung und Reduktion, Gedächtnis und Archiv, Möglichkeit und Wirklichkeit so weit voneinander entfernen, lässt nicht an der Kompetenz der Schreibenden zweifeln. Die Frage ist vielmehr, ob das Schreiben selbst etwas anderes sein kann als ein Winken zum Abschied.
Die Bilder, die Heimo Zobernig für seine Ausstellung in der Galerie Christine Mayer 2021 ausgewählt hat, lassen auch die 1998 vorgeschlagenen Begriffe neu überdenken. Die Leinwände können zweifellos Projektionsflächen bilden für die Betrachtenden:
Auf einem der Bilder steht „LOOK“, in anderen finden Interferenzfarben Verwendung, die sich ändern, wenn jemand vorbeigeht. Es stellt sich auch die Frage, ob und wie die Bilder abstrakt sind: Einige enthalten Buchstaben, eines lässt an eine Uhr oder an einen Kompass denken. Die durchgehend 30 x 30 cm großen Arbeiten stammen aus verschiedenen Jahren und können zusammen gelesen werden als kleines Archiv: Die früheste mit der Jahreszahl 1988 besteht aus zwei Leinwänden auf Rahmen, deren Vorderseiten durch Farbe zusammengehalten werden, so dass nur sichtbar bleibt, was normalerweise hinten ist. In den Bildern von 2021 dagegen ist schon sichtbar, was vorne drauf ist: „PAINTING NATURE“, „INFRASTRUCTURE NATURE“. Ich denke an einen Satz, den Zobernig auf Sexualität bezieht: „Es geht zum Beispiel um Verdecken oder Sichtbarmachen.“ Und schließlich handelt es sich ganz sicher um eine Aktualisierung, wenn die Ausstellung genau 20 Jahre nach dem ersten Auftritt des Künstlers in der Galerie Christine Mayer stattfindet.
Die Frage, ob ein Text eine Kunst einholen kann, stellt sich neu, wenn diese Kunst von sich aus den Text wiederholt, für den
sie vor mehr als zwei Jahrzehnten der Anlass war. Das bedeutet nicht, diesen Text zu verkürzen. Heimo Zobernigs Kunst wird umgekehrt zum Ausgangspunkt, um den Text zu vertiefen. Jan Winkelmanns Rede, dass bei Zobernig nicht Abstraktion, sondern Reduktion vorliege, kann verkürzt auf das Ende zulaufen, dass nichts Neues mehr zu erwarten sei. Die gleiche Rede kann aber auch Immanuel Kants Inauguraldissertation von 1770 aufrufen, wo es heißt: „Eigentlich sollte man nämlich sagen: ‚von etwas abstrahieren‘, nicht: ‚etwas abstrahieren‘“. Es ist hier nicht die Frage, ob Formen, Farben, Räume, Reden und Klänge der Erfahrung nur folgen oder schon vorher bestehen, wie genau das eine das andere hervorbringt oder auch umgekehrt. Denn Heimo Zobernigs Arbeit will so wenig wie Kants Kritik eine Philosophie sein, die sagt, wie es wirklich ist. Vielmehr stellt sie auf ihre Weise die Frage nach der „Bedingung der Möglichkeit“. In der Kunst kann diese Bedingung nur materiell sein.
Textnachweis: Berthold Reiß, Galerie Christine Mayer
Bildnachweis: Galerie Christine Mayer, Ausstellungsfotos/ Installationsansicht
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