16. Januar – 18. Juli 2021
Alfred Ehrhardt Stiftung


Eine von Harald F. Theiss kuratierte Gruppenausstellung mit Arbeiten von:

Angelika Arendt (D), Jessica Backhaus (D/USA), Yto Barrada (F/MA), Laurence Bonvin (CH), Julius von Bismarck (D), Astrid Busch (D), Yvon Chabrowski (D), Lia Darjes (D), Sven Drühl (D), Simon Faithfull (UK), Christine de la Garenne (D), Eva Grubinger (A), Moritz Hirsch (D), Inka & Niclas (S), Tobias Kappel (D), Jochen Lempert (D), Christian Niccoli (I), Charles Pétillon (F), Sheila Rock (USA), Miguel Rothschild (RA), Nasan Tur (D), Sascha Weidner (D) und Rebecca Wilton (D)

Das Meer gilt vor allem seit der Romantik als Sehnsuchtsort, als geheimnisvolle, endlose und scheinbar unveränderte Landschaft. Doch gerade heute ist es mehr denn je ein Ort neuer Gefahren und Realitäten sowie ein empfindliches Ökosystem, das zunehmend zerstört wird. Diesen weiten Bogen umspannt die Ausstellung S E E S T Ü C K E mit Werken von 23 internationalen Künstlerinnen und Künstlern.

Neben dem veränderten Blick auf das Motiv des Meeres geht es bei den aktuellen Positionen vielfach um den Moment der Irritation, des Befremdlichen oder sogar Unheimlichen. Es geht nicht um direkte Ursachenforschung, sondern vielmehr darum, mit der jeweiligen künstlerischen Bildsprache das Meer als Brücke oder Grenzraum, seiner Ausbeutung und Nutzung sowie der allgemeinen Klimaveränderungen zu verhandeln. Eine differenzierte Gefühlslage der »Verunsicherung« wird spürbar, weil vieles auf den ersten Blick nur angedeutet oder unsichtbar bleibt. Die Ausstellung S E E S T Ü C K E untersucht mit gegenwärtigen künstlerischen Betrachtungen den Transformationsprozess von Sehen und Wahrnehmen dieser Landschaft.

So sind politisch motivierte Arbeiten ein Teil der Ausstellung, die sich mit der aktuellen Thematik von Flucht und Vertreibung auseinandersetzen und das Meer als natürliche, scheinbar unüberwindbare Grenze und nicht zuletzt als tragische Landschaft thematisieren. Nasan Tur zeigt, wie schnell das Meer das Drama verschwinden lässt. Seine Arbeit Sea View (2016) basiert auf einem manipulierten Pressebild, in dem der Künstler den Bildausschnitt mit Flüchtlingsbooten weggelassen hat, so dass lediglich eine ruhige Wasseroberfläche zu sehen ist, ohne Spur des menschlichen Leids. In Le Belvédère Tanger (2001) zeigt Yto Barrada Menschen im Wartezustand: auf Freiheit, auf Arbeit, auf Wohlstand. All dies scheint nur die Distanz einer Meerenge weit entfernt zu sein.

Der Klimawandel als Folge moderner Lebensweisen wird in den Videos Simon Faithfulls und den Fotografien Laurence Bonvins thematisiert. Während Faithfull in Going Nowhere 1.5 (2016) das Verhältnis des Menschen zur Umwelt versinnbildlicht, dokumentiert Bonvin die Umwandlung der japanischen Strandlandschaft in Post Tōhoku (2015) und zeigt, wie das Meer infolge des verheerenden Tsunamis von 2011 hinter einer hohen Schutzmauer verschwindet.

Moritz Hirsch, Christine de la Garenne und Julius von Bismarck spielen mit dem vertrauten Blick und unserer Vorstellung des Meeres als Ort der Erholung und Kontemplation, aber auch der Gefahr und existenziellen Bedrohung. So wird die zunächst beschaulich anmutende Szenerie einer Uferlandschaft mit Fischerbooten im Video DEVINIZATION (2009) von de la Garenne allmählich mittels visueller und akustischer Eingriffe gestört und ins Bedrohliche gesteigert. Einen vergeblichen Kampf gegen die elementaren Kräfte des Meeres führt Julius von Bismarck in seiner Arbeit Punishment #7 (2011): In Anlehnung an die Legende des altpersischen König Xerxes I. bestraft der Künstler die stürmische See mit Peitschenhieben. Seine Aktion ruft auf zu einem Perspektivwechsel, zur Rücksichtnahme gegenüber der Natur, um sich auf diese Weise auch selbst wieder näherzukommen.

Der Ausstellungstitel S E E S T Ü C K E bezieht sich auf die dramaturgisch komplexen Szenarien, welche die Bilder »beschreiben«. Das Meer wird zum Schauspiel und ist Projektionsfläche für Metaphern, Simulationen, Manipulationen und Imaginationen. Die Ausstellung verlässt mit ihren zeitgenössischen künstlerischen Positionen die traditionellen Meeresdarstellungen: Die Künstlerinnen und Künstler interessieren sich weniger für dramatische Sturmbilder oder stimmungsvolle Meeresansichten. Vielmehr geht es ihnen um das Ausloten gegenwärtiger gesellschaftlicher Ereignisse zwischen Fakten und Fiktion. Sie schauen anders hin und hinterfragen mit ihren Arbeiten, was sich hinter oder unter der vermeintlich idyllischen und stillen Wasseroberfläche verbirgt.

In Kooperation mit dem Museum Kunst der Westküste, Föhr. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Michael Imhof Verlag.

Bildnachweis: Carstel Eisfeld. © Carsten Eisfeld


Alfred Ehrhardt Stiftung
Auguststraße 75
D-10117 Berlin
Tel.: +49(0) 30200 95333
www.aestiftung.de

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