SALIGIA. Die 7 Todsünden
vom 31. Oktober 2020 bis 20. Dezember 2020
Pressetermin: Freitag, 30. Oktober 2020, 11.00 Uhr, Flottmann-Hallen
Stille Eröffnung: Samstag, 31. Oktober 2020, 14.00 – 18.00 Uhr
Flottmann-Hallen, Straße des Bohrhammers 5, 44625 Herne
Öffnungszeiten: Di – So 14 – 18 Uhr
Die Kuratoren und Projektleiter Ingrid Raschke-Stuwe (Kunsthistorikerin), Jan Christoph Tonigs (künstlerischer Leiter) und Jutta Laurinat (Ausstellungsleiterin der Flottmann-Hallen) stehen den Besuchern für Fragen und weitere Informationen am Eröffnungstag zur Verfügung.
Zur Ausstellung:
Eine Kooperationsausstellung mit der Kulturellen Begegnungsstätte Kloster Bentlage, Stadt Telgte, dem Museum RELíGIO, kult Vreden, Stadt Münster, dem Museum Abtei Liesborn, Gemeinde Saerbeck, Bioenergiepark und den Flottmann-Hallen.
KÜNSTLER*
-
- Stefan Demming – Superbia – Hochmut, Stolz, Eitelkeit, Übermut
- Dietmar Schmale – Avaritia – Geiz, Habgier
- Wiebke Bartsch – Luxuria – Wollust, Ausschweifung, Genusssucht, Begehren
- Beate Passow – Ira – Zorn, Wut, Rachsucht
- Peer Christian Stuwe – Gula – Völlerei, Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Selbstsucht
- Katharina Krenkel – Invidia – Neid ,Eifersucht, Missgunst
- Ottmar Hörl – Acedia – Faulheit, Feigheit, Ignoranz, Trägheit des Herzens
SALIGIA
Sieben bundesweit tätige Künstler*innen wurden ausgewählt, um in ihrer eigenen Formensprache (Bildhauerei, Installationen, Malerei) jeweils eine der sieben Todsünden zeitgemäß zu interpretieren.Dafür wurden sieben gleiche fahrbare Untersätze zur Verfügung gestellt. Auf dieser Basis entstanden
die jeweiligen künstlerischen Beiträge. Jedem Künstler* wurde zuvor eine der sieben Todsünden per Losverfahren zugeteilt. Je nach Standort und zu Verfügung stehenden Möglichkeiten kann die Installation durch eine Ausstellung mit weiteren Arbeiten der Künstler zum Thema erweitert werden.
Da das Projekt als Wanderausstellung konzipiert ist, können die fest auf Anhänger montierten Kunstobjekte in Form einer KFZ-Kolonne, hinter einen PKW gehängt, leicht zum nächsten Ausstellungsort transportiert werden. Als mobiles Kunstwerk können die Objekte an speziellen Orten sowohl indoor als auch outdoor installiert werden.
Das Besondere der Herner Ausstellung ist, dass zum ersten Mal alles indoor präsentiert wird und der Film von Malte Papenfuß zum Projekt Premiere hat. Dieser Film informiert über die Reise durch das Münsterland, den Aufbau, das Konzept und die bewegliche Installation.
Gleichzeitig ist in 50 großformatigen Bildern eine Fotodokumentation der fünf vorherigen Ausstellungsorte zu sehen.
Epilog
Als der britische Kultursender Radio 4 2005 seine Hörer bat, eigene Listen mit den schlimmsten Sünden unserer Zeit zu erstellen, war es erstaunlicherweise vor allem Trägheit (in all ihren Facetten – als Apathie, Gleichgültigkeit oder Denkfaulheit), die von den Original-Sieben besonders häufig genannt wurde. Als „neue“ Sünden tauchten auf: Selbstsucht, Heuchelei, Intoleranz, Grausamkeit und Zynismus. Habgier und Neid, Zorn und Trägheit, Hochmut, Völlerei und Wollust sind jedoch auch heute täglich in immer neuen Varianten und Ausprägungen zu beobachten – auch wenn sie nicht immer mit ihrem Klarnamen benannt werden und wir eine Vielfalt anderer Begriffe verwenden.
Habgier, zum Beispiel, hat viele Gesichter: Wir erregen uns über die „Raffkes“ in der politischen Klasse und die „Abzocker“ in der Wirtschaft. Aber Habgier und Geiz sind kein Privileg der Mächtigen. Wir scheinen geradezu ein Volk von Schnäppchenjägern geworden zu sein, die eine seltsame Mischung von Geiz und Habgier praktizieren – möglichst viel haben wollen und möglichst wenig dafür bezahlen: Das Wort vom „Preis-Leistungs-Verhältnis“ taucht in fast allen Unterhaltungen über Restaurantbesuche oder Urlaubsreisen spätestens im zweiten Satz auf.
Auch Wollust ist heute kein Laster mehr, kaum noch eine verzehrende Leidenschaft, sondern eine stets verfügbare, schnell konsumierbare Angelegenheit. Der moderne Casanova ist kein verruchter Frauenheld, sondern ein armer Sexsüchtiger. Der zeitgenössische Don Juan ist ein Getriebener, der seine Selbstwertprobleme durch sexuelle Eroberungen kompensiert. Eine durch und durch banalisierte Sexualität prägt und imprägniert unsere Gesellschaft: Die permanente Stimulation der sexuellen Lust ist ein gängiges Marketinginstrument, sexuelle Schlüsselreize sind ein Kaufanreiz, und überhaupt ist „sexy“ ein unverzichtbares Lifestyle-Attribut. Erotische Reize konditionieren uns auch als Verbraucher: Nicht umsonst heißt es sex sells.
Völlerei in all ihren Erscheinungsformen – Fresssucht, orgiastische Prasserei, Trunksucht, demonstrative Verschwendungssucht – wird am wenigsten noch als Sünde wahrgenommen. Völlerei gilt in manchen Kreisen zwar eher als verachtenswerte, prollige Charakterschwäche, oder sie ist der Ausdruck einer gesundheitlichen Störung, die in erster Linie als ästhetisches Problem augenfällig wird. Die Unmäßigkeit im Oralen zeigt sich in vielerlei Symptomen: Sie ist abzulesen an der zunehmenden Adipositas-Häufigkeit, an epidemisch verbreiteten Essstörungen, an den Suchtstatistiken. Sie wird aber auch erkennbar in der obsessiven Beschäftigung mit allem, was das Essen betrifft, etwa mit der Invasion der Fernsehköche oder der Suche nach immer neuen Gaumenkitzeln und „exklusiven“ Genüssen. Die Blasphemie, die in dem Begriff „Fresstempel“ liegt, entgeht uns dabei völlig.
Neid ist die erste Sünde jenseits von Eden: Kain erschlug Abel aus Neid. Aber spätestens mit dem Beginn des bürgerlichen Zeitalters ist Neid der eigentliche Motor des Fortschritts und des wirtschaftlichen Wachstums. Das gilt erst recht heute, im beschleunigten Konsumkapitalismus, wo es um jeden Preis gelingen muss, den Wunsch „Das muss ich auch haben!“ immer wieder neu zu wecken. Neid ist aber auch ein mächtiges Ordnungsprinzip in modernen Gesellschaften. Er kristallisiert sich zu Strukturen und Institutionen, die ihn managen und beschwichtigen sollen, weil er immer den Keim von Staatsverdrossenheit und Revolten in sich trägt: Die progressive Besteuerung der höheren Einkommen („Neidsteuern“) in vielen Staaten und ausgeklügelte Kompensationsmechanismen zeugen von der befriedenden, ausgleichenden Macht des Neides. Neid gerinnt dennoch häufig zum Ressentiment – und wird als solcher zum seelischen Dauerschmerz, weil existenzielle Ungleichheiten und soziale Ungerechtigkeiten nie auch nur annähernd beseitigt werden können.
Hochmut hat seit biblischen Zeiten die Gesichter der Überheblichkeit, der Abgehobenheit, des Dünkels und der Eitelkeit: „Ich bin besser, schöner, klüger als andere!“ Selbstüberschätzung und intellektuelle Arroganz gehören heute ebenso zu seinen Erscheinungsweisen wie die ungehemmte Zurschaustellung schönheitsoperierter und gestylter Körper. Andererseits gehört der medial aufbereitete tiefe Fall der Hochmütigen inzwischen zur Grundversorgung von Unterhaltung und Nachrichten: Wir delektieren uns am Sturz der Eitlen in die Lächerlichkeit, und mit grimmiger Zufriedenheit registrieren wir die Verbannung der allzu Hochfahrenden ins existenzielle Aus. Dabei haben sich die Maßstäbe in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch verschoben: Ein bestimmtes Maß an Narzissmus wird heute jedem zugestanden, der mit anderen konkurrieren muss. Erfolg ist in der modernen Aufmerksamkeitsökonomie nicht ohne Selbsterhöhung und -überhöhung zu haben, denn die Aufmerksamkeit der anderen ist das Kapital, das sich am besten verzinst.
Die Trägheit nistet heute vor allem dort, wo sich der Rückzug aus der Verantwortung für den Nächsten als vorgeblich rationale Haltung, als Nichteinmischung tarnt. Trägheit ist heute vor allem Gleichgültigkeit, sie zeigt sich im willentlichen Ignorieren fremder Schicksale, sie ist die bequeme Neutralität, die uns nahelegt, sich rauszuhalten. Sie erscheint aber auch als habituelle Denkfaulheit und als Selbstunterforderung, oft genug getarnt als Überlastung. Trägheit macht, paradoxerweise, erfinderisch: Wir arbeiten daran, immer mehr Bewegung zu vermeiden – sowohl körperliche (mit dem Auto zum Zigarettenholen, mit dem Lift ins Fitnessstudio, Einkaufen im Internet) als auch geistige (fernsehen statt lesen, denken lassen statt selber denken).
Und wie zornig sind wir heute! Wie leicht entflammt unsere Wut! Rasch erbost sind wir vor allem über die anderen Sünder, die uns Zeit und Geld kosten, die unserer Gier oder unserer Lust in die Quere kommen oder uns in unserer Trägheit stören. Wir sind empört und wütend („Ich krieg so’n Hals!“), weil unsere Ansprüche nicht befriedigt oder unsere Rechte nicht respektiert werden – und wir haben hohe Ansprüche und viele Rechte! Bereits eine kurze Fahrt mit dem Auto bringt einen in Berührung mit dem eigenen Zorn und mit den vielen anderen Zornigen: mit wütenden, lichthupenden Dränglern oder aufgeregt gestikulierenden Pädagogen. Für die Aggressionsepidemie auf den Straßen gibt es bereits einen eigenen Namen: road rage. Aber das aggressive Auftrumpfen und Auf-den-Tisch-Hauen ist auch in anderen Lebensbereichen längst üblich, die Schwelle zum Zornesausbruch extrem abgesenkt. (Bundeszentrale für politische Bildung, Heiko Ernst, 2014)
Mahatma Gandhi hat die sieben Todsünden der modernen Welt wie folgt definiert:
-
-
- Reichtum ohne Arbeit
- Genuss ohne Gewissen
- Wissen ohne Charakter
- Geschäft ohne Moral
- Wissenschaft ohne Menschlichkeit
- Religion ohne Opferbereitschaft
- Politik ohne Prinzipien
-
Stadt Herne, Flottmann-Hallen
Postfach 10 18 20
44621 Herne
Tel.: (02323) 16-2951/2952/2953/2956
Fax:02323/16-2292
www.flottmann-hallen.de
E-Mail: jutta.laurinat@herne.de